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ZEITSCHRIFT
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DEUTSCHE PHILOLOGIE
BEGRÜNDET von JULIUS ZACHER
HERAUSGEGEBEN"
VON
HUGO GERING um OSKAR ERDMANN
3/s%,
1
DREIUNDZWANZIGSTER BAND
HALLE a. S.
VERLAG PER BUCHHANDLUNG DES WAISENHAUSES.
1891.
I
JooS
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Inhalt.
Seite
Über die poetisch-' Verwertung der natur und ihrer erscheinungen iu den vagan-
tenliedern und im deutschen tninnesang. Von K. Marold 1
Die Jerusalemfahrt des herzogs Friedrich von Österreich. Von R. Röhricht . 26 Über eine conjectur in der neuen Luther- ausgäbe. Von 0. Erdmann ... 11 Gerstenbergs briete au Nicolai nebst einer antwort Nicolais. Von R. M. Werner 43 Die entstehung des zweiten teiles von Goethes -Faust-, insbesondere der klas- sischen Walpurgisnacht, nach den neuesten mitteilungen. Von II. Düntzer <i7
Zur topographie der fastnachtspiele. Von H. Holstein 104
Zum einfluss Klopstocks auf Goethe. Von 0. Erdmann Ins
Ertha Hludana. Von H. Jaekel 129
Der einfluss des Nibelungenliedes auf die Gudrun. Von E. Kettner. . . . 145
Volkstümliches zum „Annen Heinrich". Von II. \. Wlislocki 217
Zu Minnesangs Frühling 30, 28. Von F. Ahlgrimm 225
Ältere deutsche dramen in Kopenhagener bibliothekeu. Von J. Paludan . . 226 Die menschenweit in volksrätseln aus den provinzen Ost- und Wpstpreussen.
Von IT. Frischbier 240
Wortspaltungen auf dem gebiete der nhd. schrift- und Verkehrssprache. Von
K. G. Andresen 265
Die braut der hülle. Von G. Ell in gor 286
Zu Goethes Faust. Von F. Bronner 290
Zum deutschen wörterbuche. Von G. Kawerau 292
Nochmals thiit in bedingungss.ätzen bei Luther. Von G. Kawerau . . ■ . 293 Die zehn altersstufen des menschen. Aus dem nachlasse von J. Zacher, heraus- gegeben von E. Matthias 385
Sagenhaftes und mythisches aus der geschichte der kreuzzüge. Von R. Röh- richt 412
Zu herzog Friedrichs Jerusalemfahrt. Von F.Vogt 422
Zur Alexandersage. Von H. B e c k e r 4_! 1
Das spiel vom jüngsten gerichte. Von H. Je 11 in gh aus 420
Zur litteratur des lateinischen Schauspiels des IG. Jahrhunderts. Von IT. Hol- stein 430
Zu Goethes Faust. Von R. Sprenger 4f>l
Nekrolog.
August Theodor Mübius. Von K. Maurer und H. Gering 457
Miscellen.
Preisaufgaben der fürstlich Jablouowski'schen geselschaft 384
Zur Orendelfrage. Von L. Beer und F. Vogt 493
Zu Reinaert und Wisselau. Von E. Martin und H. Brandes 497
Litteratur. Müllenhoff, Beovulf. Untersuchungen über das ags. epos und die älteste
geschichte der germanischen see Völker, angez. von E. Koppel 110
B. ten Brink, Beowulf. angez. von E. Koppel 113
IV INHALT
Seite
Kressner, geschichte der französischen national -litteratur, angez. von A. Stirn -
ming 122
- w^rkc. Weimarer ausgäbe, angez. von EL Düntzer 294
K. Martin, neue fragmente des gedichts van denvos Reinaerde und das bruch-
stück van bore Wisselauwe, angez. von H. Brandes 349
II. R tteken, d kunst Beinrichs von Veldeke und Hartmanns von
Au n 0. Erdmann 354
R, Eenning, die deutschen runendenkmäler, angez. von H. Gering. . . . 354 K. I i stanromanens gammelfranske prosahandskrifter, angez. jvonH. Su-
chier 3G0
J. Strnadt, der Kirnberg bei Linz und der Kürenberg -mythus, angez. von
F. 361
M. Eeyne, deutsches Wörterbuch 1. 1. angez. von 0. Erdmann 362
0. ] Eberhards synonymisches Wörterbuch der deutschen spräche, angez.
von 0. Erdmann 364
EL Paul, grundriss der germanischen philologie I. 2. II, 1, 1. IL 2, l,
angez. von E. Martin 365
.1. Bäbler, fluruameu aus dem Sehenkenberger amt. angez. von L. Tobler . 871 Abel, die deutschen personermamen, 2. aufl. besorgt von W. Robert -tornow,
angez. von K. '■. Andresen 372
Th. Si 5,2 ichte der englisch -friesischen spräche I, angez. von H. Je 1-
linghaus 375
EL Schachinger, die congruenz in der mhd. spräche, angez. von 0. Erdmann 378 Musen und grazien in der mark, herausgegeben von L. Geiger, angez. von
E. Wolff 379
.1. Kelle. Untersuchungen zur Überlieferung, Übersetzung, grammatik der psal-
men Notkers, ; von 0. Erdmann 380
J. Pfeiffer. Klingt re Paust, herausg. von B. Scuffert, angez. von 0. Erd- mann 381
Lh. Schweitzer, de poemate latino Walthario, angez. von E. Voigt . . . 470 L eck, die homiliensamlung des Paulus Diaconus die unmittelbare vorläge
tfrids, angez. von 0. Erdmaun 474
M. Raunow. der satzbau des alid. Isidor im Verhältnis zur lat. vorläge, angez.
von S. v. Monsterberg 47.1
EL B )rf, über syntaktische mittel des ausdrucks im ahd. Isidor, angez. von
K. Tomanetz 477
K. Domanig, ler senaere Walthers von der Vogelweide, angez. von F.Vogt 479 - hillerlitteratur iE. Elster, H. Tischler, L. Bellermann, A. Ruhe, J. Gold-
". A. dess) besprochen von Gr. Kettner 481
F. Schultz, die Überlieferung von „Mai und Beaflör*, angez. von 0. Wächter 491 F. Ahlgrimm, Untersuchungen über die Gothaer handschrift des „Herzog Ernst*,
ang :. (>. 492
- heinungen 127. 382. 500
Nachrichten 128. 383. 502
L ri htigung z\ 292 499
von E. MatthL. 504
ÜBER DIE POETISCHE VEEWEETÜNG DEE NATUR UND
IHRER ERSCHEINUNGEN IN DEN VAGANTENLIEDEEN
UND IM DEUTSCHEN MINNESANG.
Der gottesdienst der heidnischen Germanen war im wesentlichen ein naturdienst und die altgermanische religion reich an mythischen Personifikationen von naturkräften. Dass die hymnische poesie der alten Germanen vor allem diese mythische naturvereljrung zum aus- druck brachte, hat Müllenhoff in der bekanten abhandlung „De anti- quissima Germanorum poesi chorica" (Kiel 1847) dargetan. Durch die einfuhrung des Christentums aber und den glaubenseifer der bekehrer schwand im laufe der zeit selbst die erinnerung an die alte religion und mit ihr auch die Verehrung der naturkräfte und natur- erscheinungen aus dem bewustsein des volkes, denn hinter einer begeisterung für die naturerscheinungen hätten die bekehrer nur zu leicht einen rückfall in den heidnischen götzendienst vermutet. Dazu waren die christlich -religiösen anschau ungen, welche häufig in erster linie einer weltverneinung das wort redeten, einer unbefangenen natur- freude hinderlich1. Nur in den unteren schichten des volks rettete sieh einiges in gebrauchen, und wo! auch in liedern aus der heidnischen vorzeit, was in der blütezeit mittelalterlicher dichtung als fruchtbarer keim von der sonne einer freieren lebensanschauung gezeitigt empor- wuchs.
Die ältere deutsche dichtung zeigt nun erstaunlich wenig aus- druck von naturgefühl und — was in gewisser beziehung damit zusam- menhängt — wenig neigung zu poetischen bildern3. Der grund dafür ist in mehrerem zu suchen, was hier nicht der ort ist auszuführen. Erst almählich gewannen die Deutschen auch hierin eine grössere frei- heit des geistes, und das 12. Jahrhundert brachte einen Umschwung in dieser richtung. In dieser zeit begann ein gesteigertes bedürfnis nach
1) Vgl. jezt darüber v. Eicken, Geschichte und System der mittelalterlich- 'ii Weltanschauung (Stuttgart 1887) s. 316 fgg. Der abschnitt über das ästhetische interesse an der natur s. 638 — 640 hätte jedoch noch sehr vertieft werden können.
2) Vgl. E. Heinzel, Über den stil der altgermanischen poesie (QF10) s. 25.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXHI.
MAROLD
poetischer ansschmückung des lebens sich geltend zu machen, und damit mäste natuigemäss auch eine grössere aufmerksamkeit auf die
natur, deren erscheürangen vod jeher poetisch angelegte geister ange- zogen haben, sich verbinden Dazu kam aber auch noch das beispiel der westlichen nachbarn und der lateinischen poesie, die ja wie die lateinische spräche im mittelalter internationale bedeutung hatte. Nun besann man sich in Deutschland, durch das beispiel kühn gemacht, dass auch in der eigenen heimat die herzen höher schlagen, wenn der frühling mit seinen gaben gepriesen wird, dass wo! alte volksreime noch umgehen, die den Wechsel der Jahreszeiten feiern; und auch in Deutschland wurde die oaturempfindung mit anderen empfindungen des herzens, vornehmlich der liebe, in beziehung gesezt.
Eine besondere aufgäbe fiel hierbei der lateinischen dichtung zu. Die khvhe war trägerin jeder höheren bildung im mittelalter, und ihre spräche die lateinisch»-. Das lateinische aber war eine für poetische zwecke fest durchgebildete spräche. Eine summe von poetischen bil- dern hatte mit der spräche sich fortgeerbt, und dieser kreis von bildern war durch das Christentum und durch die volkstümlichen anschauungen der Länder, in denen man in lateinischer spräche dichtete, zum teil erweitert Vieles freilich gieng von altem gut auch im laufe der zeit oren. Ein»' umfangreiche gelehrte dichtung in lateinischer spräche - rgte aber für erhaltung und erweiterung jenes Schatzes, und ein wil- der M'hüssling dieser gelehrten dichtung war die poesie der vaganten, der fahrenden kleriker. Man hat ihre dichtung als „gelehrte volks- poesiea bezeichnet, und mit recht. Sie waren die ungezogenen söhne der kiivhe. die sich ihrer strengen zucht entzogen und vom 12. bis ins 13. Jahrhundert Frankreich. Deutschland, England durchschweiften und in der spräche der kirche lustige weisen von der liebe lust und leid, vom wein, von spiel und tanz und von den Schönheiten der natur ertönen Hessen1. Aber sie waren gelehrte und kleriker und fühlten sieh als Bolche; mit den spielleuten gewöhnlichen Schlages wei- te; rieh um keinen preis identificieren lassen. Das kirchenlied und die gelehrte schulpoesie bilden den eigentlichen boden, aus dem di( _antendichtung erwachsen ist2; aber infolge ihres Verkehrs mit
li Reuter. Geschichte der religiösen aufklärung im mittelalter I, s. 141 fgg.
ildert das treiben der va. als ein Symptom der beginnenden aufklärung.
_ Mau vergleiche die grundlegende arbeit von \Y. Giesebrecht, Die vagan-
u und ihre lieder. '. öine monatsschrift für Wissenschaft und
litteratui 8. 10 — 43 und 344 — 381; ferner: Hubatsch, Die lateinischen vagan-
tenlied< Görlitz
VERWERTUNG DER NATUR DURCH DIE VAGANTEN U. MINNESINGER 3
dem volke und den volkssängern in Frankreich sowol wie in Deutsch- land sind auch genug volkstümliche demente in ihre lieder eingedrun- gen, und mit dieser einschränkung haben Schindlers worte (Carmina Burana s. VIII) ihre volle berechtigung: „mit gutem gründe sprechen wir einen nicht unansehnlichen teil auch der Lateinischen poetischen erzeugnisse do^ mittelalters als vätergut an."
Nun sprach schon Schmeller a.a.O. die Vermutung aus, der deut- sche minnesang möge sich wo] nach einem lateinischen gebildet haben; aber erst 1876 fand diese frage einen eifrigen Verteidiger in E. Mar- tin, Ztschr. f. d. a. 20, 46 — (>9; und in demselben jähre berührte Scherer in der recension der zweiten ausgäbe von MSF im A. f. d. a. I, 197 fgg. diese frage hauptsächlich in hinsieht auf die natureingänge. Eine ausschliessliche abhängigkeit (\v> minnesangs von der Vagantendich- tung, in der weise dass jener erst durch diese geweckt und nach ihrem muster entstanden sei, muss entschieden von der hand gewiesen wer- den. Jedoch wird in einzelnen fallen im verlauf des minnesanges ein einfluss der Vagantendichtung nicht von der hand zu weisen sein, worauf ich mein besonderes augenmerk zu richten gedenke. Dass mit den deutschen spielleuten sich Vaganten mischten und in Deutschland umherzogen, hat schon Müllenhoff, Zur geschiente der Nibelunge not (1855) s. 20 nachgewiesen; er weist s. 19 darauf hin, dass schon die musikalische bildung, die seit dem 12. Jahrhundert bei den deutschen sängern vorausgesezt werden muss, darauf schliessen lässt, dass sie die schule der geistlichen nicht verschmähten. Dazu kam aber, dass noch viele von den sängern der blütezeit gelehrte bildung genossen hatten und mit der lateinischen spräche vertraut waren. So wäre es geradezu wunderbar gewesen, wenn nicht die dichtung der geistlichen und zumal die Vagantendichtung ihren einfluss gelegentlich geltend gemacht hätte. Wie zahlreich aber die vaganten Deutschland durchschwärmten, darf ich nicht widerholen; ich verweise auf Giesebrecht a. a. o. s. 33 — 3
1. Personifikation der schaffenden natur und der fruchtbaren
erde.
Meines wissens hat R. Galle in seiner disserfation : Die Personi- fikation in der mittelhochdeutschen dichtung (Leipzig 1888) dieselbe zuerst berührt, aber so flüchtig, dass es kaum erwähnenswert ist (s. 95. 106. 110). Den antiken dichtem — ich erwähne nur die auch für das mittelalter bedeutungsvollen övid und Vergil — war die Personifikation geläufig; und die lateinische schulpoesie des mittelalters erhob die natur fast zu einer mythologischen figur, die sie gott als gleichberechtigt
1
MAROLD
lüberstelte. Sie galt als die Schöpferin aller dinge ihrer form nach, als die stelvertreterin gottes. Wie verbreitet diese vorstel- lung in der gelehrtenpoesie des mittelalters war, lehren besonders Ala- uns ab Insnlis1 in seinem „Anticlaudianus" und im „Planctus Natu- raea and Walther von Chatillon in seiner „Alexandreisa 2. Aber diese persönliche Vorstellung von der schaffenden natur zeigt sich noch viel früher bei ausschliesslich christlichen Schriftstellern und dichtem. So
igt sich Ambrosius gerade an den poetisch schönen stellen seines exegetischen werkes „Hexaemeron" ganz vertraut mit jener Personifika- tion, trotzdem er doch die almacht und Weisheit gottes an der schöpfnng der weit erweisen will: IV, 1, 4 versteigt er sich zu einer ausführ- lichen prosopopöie, sonst aber sind vis naturae, subsidium, gratia natural . ratio naturae n. a. ihm geläufige Wendungen. Paulinus Pe- trocordiae (am ende des 5. Jahrhunderts) sagt in der Vita Martini IY, 555 park m — campi omabat vario comens natura decore und im verlauf derselben naturschilderung v. 581: quae munere Christi — naturae gratia pinorit. Noch freier zeigen sich hierin die dichter der karolin-
schen renaissance; aber erst die gelehrtenpoesie des 12. und 13. jahr- hunderts verstieg sich zu einem wahren natnrkultus in hinsieht der pantheistischen Vergötterung der schaffenden und bildenden natnrkraft3. Ein nachhall davon* aber tönt uns aus den vagantenliedern entgegen, wie folgende beispiele zeigen:
CB (= Carmina Burana) 35, 14 quam sorte de infantin Natura
nustaverat; 40. 1 (= Wright, Early mysteries s. 111) E globo veteri dum rerum fadem traxissent superi mniuVupic seriem -prüden s expli-
it et texuit Natura, jam preconeeperat quod fuerat factum, quae causas macMne mundane sciscitans de nostra virgine iamdudum cogi- tans plus hanc exeoluit. 2 in hoc pre erteris totius operis Natu.' lucent opera. 3 Nature studio longe venustata — . 5 precastigat hunc candorem — prudens Natura. 6 Natura dulcioris alvmenta dans — 65, 14 quem beavit omnibus gratiis Natura.
•~_J totum fuit sonipes Studium Nature. 108, 1 iubente Natura
pJrilomena jueritur. — 132, 1 in cuius figura laboravit deitas et maier Nu turn. — 142. 1 Quam Natura pre ceteris in im prfflorat arte. — CLXXII. 18 und 19 Unieuique proprium dat Natura mu- nus. — CXCH, 4 Natura vim non patitur. — W. Mapes ed. Th.
I) Herausgegeben von Th. Wright in seinen Anglo-latin satirical poets II. - Herai von Müldener (Leipz. 1863).
V_l. K. Francke, Zur geschichte der lat. schulpoesie des XII. und XIII. Jahrhunderts (München 187 2. :;(».
VERWERTUNG DER NATUR DURCH DIE VAGANTEN U. MINNESINGER 5
Wright s. 132 v. 233: occulta latent plurima Natur ae beneficia. Early Myst. ed. Th. Wright s. 118, Carm. ex ms. Arundel. VIII, 1 ter- rae faecundat gremium clementior Natura. — Du Meril, Poesies pop. s. 45, Chant sur ia nativite du Christ (saec. XI) str. 9: lüde Natura stupuit, ius amisisse (lohnt, miratur quis hoc potuit; s. 233 (saec. XIII) z. 28 fgg. Phihmena Terea dum meminit non desinit, sie im- perat Natura recenter conqueri de veteri iactura; s. 244 Hymnus des Abälard v. 2!) fg. opus magis eximium est Naturae quam ho-
minum l.
Der gelehrte Charakter der naturbeseelung in der Vagantendich- tung spricht sich ferner in der verliebe aus, mit der sie von der Schwangerschaft der erde spricht. Auch hierin folgt sie nur der gelehrtenpoesie, die dieses bild gern gebraucht und darin wider eine reminiscenz aus antiker dichtung widergibt2; es ist die ausfuhrung der metapher mater Natura. So heisst es CB 55, 1 veris ab instantia tellus iam fit gravida in partum inde solvitur, dum florere cemitur. 103, 2 tettus parit flores. — 103, 3 tettus f<jta sui partus grande deeus flores gignit odoriferos. — 108, 3 (terra) in partum solvitur redolens odore. — Mone, Anzeiger f. künde des t. mittelalters 7, nr. 24 (= Du Meril, Poesies pop. s. 213 fg.) str. 1: tellus impraegnatur. — Du Meril a. a. o. s. 232 De terrae gremio verum praegnatio progredi- tur et in partum solvitur mirifico colore. — Ausführlich wird das bild ausgemalt in den Versus de Guerra Regis Johannis bei Th. Wright, Political Songs s. 22 fgg. v. 76 fgg.: Tempus erat, quo terra uoro pubescere partu Cocperat et teneras in crines solverat herbas, VeUera pratorum redolens infantia floruni usw.3 — Ebendahin gehört auch
1) Es würde zu weit führen, darauf einzugehn, dass natura in den vagant«'n- liedern auch, in manchen anderen bedeutungen verwendet wird, so besonders häufig den liebestrieb bezeichnet.
2) Selbst der das Christentum und christlichen glauben energisch vertretende Ambrosius scheut sich nicht dieses bild zu verwenden. Er sagt Hexaemeron EU, 8, 34 parturiens terra novos se fwtit in partus und 35 itbcrtas foeeundae matris (ter- rae) se in partus effundit.
3) Ich kann es mir nicht versagen als beispiel für den engen Zusammenhang zwischen Vagantendichtung und gelehrter poesie eine parallele aus der Poetria des Galfridus de Vinosalvo (a. 1216; herausgegeben von Leyser in der Historia poetarum et poematum medii aevi; Halle 1721) anzuführen. V. 552 fgg. lauten: Verl cedit hijcms; nebulam diffibulat aer; Et cochon blanditur kumo, laseivit m illa/m Hu- midus et calidns. et quod sit masculus aer Femina sentit humus. flos, fulius eins, in auras Exit et arridet matri. conia primuta condit Arboreos apices. Dass das bild aber eine alte bis auf das altertum zurückreichende tradition war, zeigt Ver- gil Georg. II, 325 fgg. und dann ein gedieht des codex Salmasianus (bei Riese, Anthol.
MAKOLD
die gelehrte identilicierung der erde mit der antiken Rhea, Cybele und Pales in einigen vagantenliedern. Dabei bleibt aber die Personifikation der erde in den vagantenliedern nicht stehn; terrae gremium ist ein häufiges bild, daneben terrae sinus; häufig ist auch terrae facies, je einmal heissl - terrai corpus und sogar terrae pori.
Von dieser gelehrten art, die schaffende kraft der natur und die triebkraft der erde zu personificieren findet sich nun weder in des minnesangs frühling noch bei den eigentlichen klassikern eine spur. Es
hörte eben eine art der abstraktion dazu, welche die deutschen sän- noch nicht kanten und welche ihnen erst almählich vermittelt wurde. Da ist es denn ganz natürlich, dass z. b. der nach antikem vorbilde dichtende Eckehard im Waltharius v. 766 sagt: cui natura dedit reli- quas ludendo praeire. Die ältesten beispiele für die Personifikation der natur in deutscher dichtimg sind bei Heinrich von Melk, Erinnerung 692: der natüre reht, in Heinrichs litanei (Fundgruben II, s. 222, 30): da\ der natüre icas ungewonelich, und in Wcmhers Maria (Fundgru- ben IL 182, 23): des in diu natüre uleu icil verhengeu mit der stimme. Aber der ausschliesslich geistliche Charakter dieser dichtungen gibt auch die erklärung für den gebrauch dieser gelehrten Personifikation; die angeführten beispiele sind ausserdem, soweit ich sehe, aus dem 12. Jahrhundert die einzigen1. Erst das 13. Jahrhundert zeigt die per-
nificierte natur auch in weltlichen dichtungen; unter den epen haben wir mehrere beispiele bei Albrecht von Halberstadt, die aber nicht auf- fallend sind, weil das gedieht ja eine Übersetzung des Oviol ist. Beson- ders ausgedehnten gebrauch davon machen aber Konrad Fleck und Hein- rich von dem Türlin in seiner Kröne (dieser sagt sogar einmal vrou Natüre). Im folgenden will ich mich aber auf den minnesang beschränken. Da ist es nun auffallend, dass um die mitte des 13. Jahr- hunderts, in einzelnen fällen schon seit ca. 1220, also in einer zeit, wo die vaganten erwiesenermassen nicht nur in Lothringen und am Niederrhein, sondern auch am Oberrhein, in Schwaben, in den Donau- gegenden und im Salzburgischen umherzogen2, in deutlich erkenbarer weise bilder und Vorstellungen, wie sie dem vagantensange eigentüm- lich sind, auch im deutschen minnesang sich zeigen.
lat. nr. 235: Pentadiu^. De adventu veris). — Vgl. Piper, Mythologie und Symbolik der christlichen knnst IL 8. 87.
li Ni = beschaffenheit, angeborne art (ohne Personifikation) findet sich
häufiger, aber auch nur in den dichtungen geistlichen Ursprungs, noch nicht in den .si'ielmannsepen.
2) Tgl. i recht a. a. o. s. 33 fgg.
VEKWEKTUMr DER NATUB DHBOH DIE VAGANTEN U. MINNESINGEB 7
Die beispiele für die Personifikation der natur und die trieb- kraft der erde im sinne der Vagantendichtung (beziehungsweise der gelehrten lateinischen dichtung) sind nun folgende (ich ordne der ein- heitlichkeit wegen die citate nach Hagens Minnesingern).
MSH I, 68b E. v. Sax 3 du bist der natüre wunder (Maria).
I, 79b K. v. Kotenburk III, 22 beide, röt uude wi; also hat der na- türe vU% gemachet ir wengel rar. II, 245b Manier XIV, 14 davon daz natüre an in niht tilgende treit. II, 261b v. Buwenburk III, 1 ahtent, ob natüre iht ze schaffenne habe e da: aller dinge .stelle nach der \it. II, 337b Vrouwenlop I, 2 (von einer schwangeren frau) na merket icie si Ir liege, diu geviiege, der natüren \uo genüege. II, 350 a Yrouwenlop IY, 1 natüren kraft ersehinet an dem vogel vellica. III, 143a Vrouw. II, 8 tvem natiure gibet, der schepfet hiute also ril als einer vert. III, 144a Yrouw. III, 1 wd wont natiur* in hefte, sint sie aller dinge walte hat? mit got durch got in got sie lir- met wa% er tirmen tat — vier (gott, seine ewigkeit, seine majestät und Maria) mohteu nie, den natiure alterseine (die zweite strophe sezt die Personifikation fort). III, 147a Yrouw. III, 17 ir sloz (die strophe handelt von den vier elementen) natüren kraft gar schön/ begiuzet III, 377a. Vrouw. VII, 3 got mensche wart natüre brach. 4 Natüre möhf wol zürnen solch geschulte (es folgt eine vollständige Spielerei mit natüre } die sich durch die ganze strophe hindurchzieht). —
II, 380b Boppe I, 14 an im (Christus) wart der natüre kraft in wernder wirde erhoehet und erniuwet. III, 414 a Heinzelin v. Ko- stenz 74 Von dir (Gott) ist der natüren kraft entsprungen mit ge- liozzen.
MSH I, 47 b Gr. v. Nifen XIV, 1 diu heide ist worden swanger. I, 206a B. v. Hohenvels XI, 1 da wart erde ir lip ervrisehet; dar ein tougenlichez smiegen wart si vröuden vrilhte swanger; duz tet Infi, ine wil niht triegen, schouwet selbe üf den anger. I, 350a K. v. Landegge I, 1 ich klage auch heide und anger, die liiure wur- den swanger vil bluomen glänz. II, 223 a/b d. j. Meissner IV, 1 sit daz heüV und anger stvanger mit den bluomen sint. (II, 340b Vrou- wenlop I, 12 ich bin'z (Maria), ein würzen richer anger; min bluo- men, die sint alle swanger). III, 82b Wizlav X, 1 Diu erde ist ent- slozzen, die bluomen sint entsprozzen. (Dass auch dieses eine der Vagantendichtung eigentümliche Vorstellung war, zeigen mehrere bei- spiele; z. b. Mone Anzeiger 7, 30 ver terrae gremium aperit, CB 103, 1 Terra iam pandit gremium, Wattenbach im Anzeiger f. künde d. d. vorzeit 22, 150 aus einer Tegernseer hs.: Eosam et candens lilium
MAROLD
iam clausii fern gremium). III, 296 Nithart (anhang) I, 2 der meie hat du heid berüert van würze und kriute swanger.
Folgerungen aus den beispielen zu ziehen, halte Ich nicht für nötig, da dieselben zur genüge selbst über die art aufschluss geben, wie man sich die almähliche einmischung der erwähnten poetischen Personifikationen in den Ms zu denken hat. Der ersten hälfte des L3. Jahrhundert- gehören von den in frage kommenden dichtem an: Burkhart von Hohenfels und Gotfrid von Neifen, jener am Bodensee, dieser in Schwaben zuhause. Die stelle aus Burkhart ist besonders merkwürdig wegen der Übereinstimmung mit der oben citierten stelle aus Galfrids Poetria, sie zeigt das interesse des dichters, der zum klo- r Wettingen in näheren beziehungen gestanden zu haben scheint, für gelehrte bildung. Diese Übereinstimmung ist um so auffallender, als die lieder Burkharts im ganzen einen volksmassigen inhalt in der weise Neidharts zeigen und auch das lied, dem das obige citat entnom- men ist. im weiteren verlaufe einen wintertanz in der scheuer schil- dert. Noch in höherem grade pflegt Gotfrid neben liedern in überaus künstlicher form das volksmässige ; aber seine mannigfachen beziehun- d zu klöstern, die urkundlich bezeugt sind, haben ihm sicher auch kentnis lateinischer dichtung vermittelt und ihn mit fahrenden klerikern Legentlich in berührung gebracht. Was die heimat der übrigen dich- ter betrift, so sind sie mit ausnähme Frauenlobs und Witzlavs sämt- lich Schwaben oder Schweizer und ihre Wirksamkeit fält in die zweite hälfte des 13. Jahrhunderts, Frauenlob und Witzlav reichen noch in den anfang des 14. Jahrhunderts hinein. Unter ihnen war Eberhard - x selbst ein kleriker; Konrad von Landeck schenk des abtes von St Gallen: Boppe >tand in persönlichen beziehungen zu bischof Kon- rad III. von Strassburg, gehörte übrigens zu den fahrenden und zeigt sich in seinen dichtungen durchaus als gelehrter: der Manier war eben- fals ein fahrender, der sehr viel in der weit umherkam und viel gelehrte anspielungen in seinen gedienten zeigt, wie er denn auch a schickt lateinisch dichtete: ebenso wandert Frauenlob viel in der weit herum und bei ihm zeigt sich der gelehrte dunkel besonders deutlich in den spitzfindigen Spielereien mit worten. Von Rudolf von Roten- burg wissen wir nur. dass er auch ein buntes Wanderleben führte; bei dem von Buwenburg, Heinzelin von Konstanz und Witzlav, Fürst von Rügen, sind lebensbeziehungen zu klerikern nicht festzustellen; aber der einfluss der gelehrtendichtung auf den einheimischen minnesang gewann in dieser zeit einen immer breiteren b<»den, so dass dadurch auch da> citat aus Pseudo- Neidhart seine erklärung findet.
VERWERTUNG DER NATUR DURCH DIE VAGANTEN U. MINNESINGER 9
2. Die winterschilderungen in der vagantenpoesie und im
minnesang.
Direkte Wintereingänge haben unter den vagantenliedern nur
wenige: Mone a. a. <>. no. 18. 21 (die lieder sind im lezten drittel des 12. Jahrhunderts gedichtet); CB 42. 56 (= Wright, Early Myst. s. 1 1 1 no. V). 95. 180; Du Meril, Poesies pop. s. 235 (aus einer hs. saec. XIII); Wattenbach im Anzeiger f. künde d. d. vorzeit 22 s. 150 (aus einer Tegernseer hs. saec XIII oder XIV): ins. Sterzing (saec. XIY) hg. von Zingerle (Sitzungsberichte der Wiener akademie, phil.-hist. Klasse 54) s. 324 fg. Aber zusammen mit den frühlingseingängen, die auf den winter bezug nehmen, geben sie uns doch ein ziemlieh klares bild davon, wie die vaganten ihrer trauer und ihrem ärger über den winter ausdruck verliehen.
Bei der Winterschilderung wiegt fast durchweg die persönliche auffassung vor; nur an wenig stellen ist dieselbe nicht ersichtlich oder wenigstens dunkel und kaum erkenbar. So heisst es bei Mone a. a. o. 18 nur: redit brumeie glades; 24 imber enim transiit. CB 55, 1 Fri- gus hinc est horridum; 116, 1 Transit tempus gelidum; 102, 1 Tem- pus transit horridum, frigus hie male; 164, 1 Transit nix et glacies; 180, 1 Hiemali frigore dam prata marcent frigorf et aque congela- seunt. Sonst ist überall die Vorstellung von dem winter als einem gewalttätigen unholde, einem grausamen Tyrannen, einem verwüster und räuber, einem erbitterten kriegshelden , der aber doch schliesslich eingekerkert wird oder in die flucht geschlagen und in die Verbannung gehn muss, erkenbar. CB 51, 1 hiemis cedit asperitas; 95, 1 bruma- lis sevitia iam venit in tristiHa, grando nix et pluvia sie corda red- dunt segnia, ut desoleutar omnia (vgl. 53, 3 hiemali taedio qup vil- uere languida); 106, 1 haue recedit hyemis sevitia; 107, 2 Jtien/s seva cessit; 109, 1 sie hiemis sevitia finitur; 118, 1 hiems spva tran- siit; 56, 1 (= Wright Early Myst. s. 114, V, 1) Sfvit aurß spiritus; 98, 1 Cedit hiems, tua durities, fr i Igor abit, rigor et ylaci<s, brumaUs et feritas, reibics, torpor et improba segnities, paUor et ira, dolor, maeics; 103. 1 Terra iam pandit gremium — quod geht friste clau- serat brumali feritate — sevum spirans boreas iam cessat commovere; 114, 1 hiemata tersa rabie. — 32, 4 Aquilonis ira irr<<lnnis; 36, 3 Terminum vidit brumß desolatio; 42, 1 Estas in exilium iam peri- grinatur — felicem statum nemoris eis frigoris sinistra denudavit et ethera silentio turbavit, exilio dum aves relegavit; Metamorphosis Go- liae 2 (Wright, Walther Mapes s. 21) fjaod (seil, nemus) nequivit hye- mis algor deturpare nee a sui deeoris statu declinare; Wright, Early
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Myst s. 109 I, 1 Praeclusi viam floris vis reserat caloris — eom- pescuit algoris repagula (vgl. CB 32, 1 Brunia veris emula sua iam repagula dolet demoUri)\ s. 113 IV, 1 olim gemens (seil. Rhea) car-
rari sui s ■•/* vincuUs (vgl. -Ms. Sterzing s. 324 //r/^ metu gemens tremens teUus). 2 Aethera Favonius inducit a vineulis; Du Meril a. a. o. s. 235 (Ms. saec XIII) iam nocet frigus teneris et avis bruma laectitur; Wattenbach a. a. o. qui (seil, aquilo) turbinoso flamine pri- vavit aves carmitu nimbo cooperante; ebenda 26 s. 165 Temps quam statem) nuper horrido, fugarat in eorilium. Das lezte citat leitet zu den stellen über, an denen der sänger einen kämpf des winters mit dem frühling im sinne hat und bewnsst oder unbewusst auf die uralte mythologische idee eines krieges zwi- schen beideu Jahreszeiten anspielt. Die lateinische gelehrtenpoesie hat sich dieser idee schon früh bemächtigt, zumal ähnliche vorstellun-
d das aitertum und die im mittelalter viel gelesenen antiken autoren schon kanten, z. b. Ovid Met. X, 164 fg. quotiensque repeUit ver Me- inem. S hon zur zeit der karolingischen renaissance hat nun Alcuin oder nach Ad. Eberts Vermutung dessen schüler Dodo jenen Confh'ctus veris et Memis gedichtet1. Im 11. Jahrhundert schildert alsdann ein priester aus Flandern oder dem nördlichen Frankreich, namens Her- bert, welcher seinen abt um aufbesserung seiner einkünfte bittet, aus- führlich jenen kämpf zwischen winter und frühling2. Dort streiten frühling und winter über das kukukslied, der winter spricht voce severa, er wird atrox genant und tarda hiems; das sind züge, die später noch in den vagantenliedern widerkehren. Herbert scheint auf das ältere gedieht bezug zu nehmen, v. 37 lautet: tunc simul aeeipient conflictum verque hiemsque. Die Schilderung ist aber eine ganz andere; sie bewegt sich dort mehr in abstraktionen, dagegen gibt sie hier das konkrete bild einer erbitterten schlacht zwischen zwei mächtigen heer- führem. Kälte, schnee und eisige winde sind das gefolge und die waffen des winters, frisches laub und veilchen der waffenschmuck des frühlings, die Sonnenstrahlen sein mächtiger bundesgenosse, wozu spä- ter der sommer komt, die hellen und langen tage sind neue waffen, die sie anlegen und nun wird der kämpf mit fausten und waffen zu ende geführt, dem winter die äugen ausgestochen und dann das haupt
1 1 Neuere ausgaben von Eiese in der Anthologia lat. nr. 687 und von Dümm- ler in den Poetae aevi Karolini I s. 270 ss. — Vgl. A. Ebert, Algcmeine geschiente der litteratur im abendlande II. s. 68 fgg. und Z. f. d. a. 22, 328 — 335.
2) Das gedieht hat Dümmler im Xeuen archiv für ältere deutsche geschichte X, 351 fg. veröffentlicht.
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abgeschlagen1. Wir sehen daraus deutlich, wie sehr die gelehrte latei- nische diehtung des mittelalters von national deutschen dementen durchdrungen war; aber andrerseits auch, wie die dichter sie in gelehr- ter weise in antikes gewand kleideten-, also eine erscheinung ähnlich der lateinischen klosterdichtung des 10. Jahrhunderts. Um so weniger dürfen wir erstaunt sein, wenn in den liedern der fahrenden klcriker da^ 12. und 13. Jahrhunderts solche nationalen mythologischen reminis- cenzen sich rinden, aber in gelehrter weise zum ausdruek gebracht.
Die hierher gehörigen stellen aus den vagantenliedern sind nun folgende. CB 32 (ein lied, das gerade mit pedantischer Selbstgefällig- keit sich in bildera der schulgelehrsamkeit bewegt), 1 Bru/ma, veris emtda, sua iam repagula doht demoliri. demandat Februario (nach altrömischer einteilung der Jahreszeiten), ne sc a solis radio sinat deli- niri. Str. 2 spricht von dem den elementen eingepflanzten liebestriebe, der von Hymcnaeus geregelt und zur ehe geleitet werde. Str. 3 fährt fort: Sed Aqmhnis ira predonis elementis officit ne pareant. 41, 4 (ebenfals ein lied von speziell gelehrter färbung) Dulcis (iura lephyri spirans ab oeddente Joris faret sideri alacriori Diente, Aquilonem carceri Eolo nolente deputans, sie eeteri glaciales spiritiis difugiunt repente. 46, 1 ist eigentümlich wegen der gleichsten ung des winters mit dem antiken Chronos, den Jupiter entthront und in den kerker schleudert: Clausus Chronos et serato carcere ver exit, risu Jovis rese- rato faeiem detexit, purpurato floret prato, rer tenet primatum. Ein nachklang der kampfesvorstellung ist wol auch 47, 2 enthalten: llisu Joris pellitur torpor liiemcdis, sowie 53, 1 Refl. hycnis eradicatur und 54, 2 fugieute penitus hyemis algore, auch 57, 1 liienie sepulta als Zeitbestimmung gehört hierher. 98, 1 Cedit, hyems taa dnrities. 2 Veris adest elegans acies, dura ratet sine mibe dies. 101, 1 Veris Ißta f acies mundo propinatur, Jiicmalis acics vieta iam fugatur. 10G, 2 brinna fugit. 113, 1 rcruali sol calore pulso briuuc statu claruit. 122 PJicbiisqite dominatiir depidso frigore. 165, 3 hiernps discedit lemere. Mone nr. 31 Redit aestas praeoptata geht captivato, languet
1) Vgl. Grimm Mythol.4 638 fg.
2) Man vergleiche über die frage, wieweit in den vagantenliedern sieh remi- niscenzen aus antiken lateinischen autoren finden, Heinrich, Quatenus carminum Buranorum auetores veterum Romanorum poetas imitati sint. Programm des k. k. gymnasiums zu CiUi (Steiermark) 1882. Die arbeit erschöpft den gegenständ jedoch nicht. Speciell für reminiscenzen aus Ovid ist natürlich noch zu rate zu ziehen K. Bartsch, Albrecht von Halberstadt und Ovid im mittelalter (Quedlinburg 1861; wo auch die CB genügend berücksichtigt sind.
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hieras aegrotata ven sospitato. Wright, Early Myst. s. 113. IV, 1 Plawlit kumus Borecu fugam ridens eooulis.
Im voraus muss nun darauf hingewiesen werden, dass die win- terschilderungen im vagantensange einen ganz anderen Charakter haben, als die des deutschen minnesanges, besonders des älteren, wäh- rend spar»']- sieh mehrfach ein ausgleich zeigt. Die Vaganten schmücken zumal in den älteren liedern, die von ihnen erhalten sind — ihre poesieen gern mit gelehrten anspielungen und antiken reminiscenzen; bewegen sich gern in abstraktionen und zeigen eine grosse Vorliebe für die allegorie und betonen in den naturschilderungen mehr die Wir- kungen des winters als dass sie das bewirkte, die Veränderungen, die in der natur statgefunden haben, objektiv zur darstellung bringen. Der
rstand isr bei ihren Schilderungen mehr beteiligt als phantasie und
müt So hebt der Sänger der lieder in der Moneschen handschrift beidemale die Veränderung der demente durch die winterkälte hervor, das rauhe wetter ist ihm Joris intemperies; nur in dem zweiten inr. 21) erwähnt er zweimal mit lästiger widerholung das welken der lilien und merkwürdiger weise die veilchen neben den Schwertlilien
icdnium in der ganzen Vagantendichtung nur hier), die nun des glitzernden taues entbehren müssen. Die späteren vagantenlieder ver- suchen es zwar (und hier wäre eine ein Wirkung des höfischen minne- sangs zu konstatieren!) sich in die sichtbaren Veränderungen der natur mit dem herzen hineinzuleben; dass es aber eigentlich nicht ihre art ist, beweist der umstand, dass sie daneben das allegorisieren , ihre tra- ditionellen physikalischen beobachtungen und die abstraktionen nicht unterlassen können. So richtet der sänger von CB 42 zwar seinen blick in die ihn umgebende natur und beklagt deren Veränderung: der hain ist des vogelsangs beraubt, das laub fahl geworden, die heide ohne blumen: aber er verleugnet den gelehrten nicht, wenn er den
romer ins exil gehen lässt, wenn er statt des konkreten ausdrucks „grünes laub" viror frondium sagt, und vor allem decouvriert er sich dadurch, dass er dieselben gedauken in derselben strophe noch einmal in anderer foim folgendermassen ausdrückt: exaruil quod floruit, quia feücem statum nemoris vis frigoris sinistra denudavit et ethera süen- tio turbavitj tri Ho dum aves relegavit. Man sieht deutlich das hin- überspielen ins abstrakte und allegorische. Ähnliche mischung zeigt CB 56, wo der ausdruck arborum comp fluunt penitus und das gleich folgende in frigore silet cantus nemorum au— ch laggebend sind. Obwol die übrigen, besonders CB 95 und das bei Du Meril abgedruckte lied, ausführlicher und reiner in der Vertiefung der empfindung sind, so
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bestätigen sie doch auch die ausgesprochene beobachtung, und ich gehe deswegen nicht näher auf sie ein.
Ganz anders verhält sich nun der minnesang, und zwar besonders in seiner älteren periode. R.M.Meyer in seinem aufsatze „Alte deut- sche volksliedchen (Z. f. d. a. 29, 121— 23(>) und desgleichen A. Ber- ger in dem aufsatze „Die volkstümlichen grundzüge des minnesangs" (in dieser zeitschr. 19, 441 fgg.) gehen von der sicher nicht richtigen Voraussetzung aus, dass aus den formelhaften Wendungen des minne- sangs zu schliessen sei, er setze eine ausgebildete volkslyrik, in der diese formein bereits enthalten gewesen seien, voraus. Überhaupt wird meiner meinung nach mit dem immerhin noch vagen begriffe des volks- tümlichen im minnesange viel zu viel operiert. Seihst Neid hart ist immer doch ein ritterlicher sänger gewesen, wie sehr er sich auch unter das volk mischte und gewiss diese und jene anregung daher erhalten haben mag. Nun aber gar, wie R. M. Meyer es tut, Neidhart mit den dichtem von minnesangs frühling zusammenzustellen, erscheint mir unhistorisch. Bis jezt ist die ganze frage noch immer eine offene; eine so ausgedehnte und ausgebildete volkslyrik würde aber auch eine zu grosse poetische bildung des niederen volkes voraussetzen, die durch nichts sicher bezeugt ist, und ausserdem hinsichtlich der vorausgesezten mythologischen ideen eine lange Übung und ununterbrochene tradi- tion, während das Christentum im lauf der Jahrhunderte doch sicher soweit durchgedrungen war, dass nur schüchtern einige Überreste alter gebrauche und sagen sich gelegentlich hervorwagten. Neuer- dings hat E. Th. Walter in der Germania 34 (1889) s. 1 fgg. und 141 fgg. die schwächen der erwähnten beiden arbeiten aufgedeckt, und ich muss ihm in der hauptsache zustimmen. Er betont durchaus richtig, dass wir es von anfang an mit einem höfischen minnesang zu tun haben; natürlich haben Wechselbeziehungen zwischen ihm und einer Volksdichtung, soweit sie vorhanden war, vor allem aber dem vagan- tensang statgefunden. Im vagantensang fanden die minnesinger ein ebenbürtiges kunstprodukt vor, und je mehr eine mischung und ein verkehr der verschiedenen sängerklassen untereinander statfand, uniso- niehr muste ein austausch unter ihnen erfolgen. Ferner möchte ich noch meine bedenken dagegen äussern, dass man aus Personifikationen des minnesangs und nun gar der spätem volkspoesie ohne auswahl Überreste alter mythologischer Vorstellungen folgerte1. Einmal geht das
1) Vgl. über diesen gegenständ Krejci, Das charakteristische merkmal der volkspoesie. Ztschr. für Völkerpsychologie 19 (1889) 140.
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volk darin in jeder zeit selbstschöpferisch vor und dann können bil- dungseleniente der gebildeteren kreise auch in die niederen Volksschicht teil eindringen und demnach einen ganz anderen ursprang haben. Nun
r mit dem Volkslied des 15. und 16. Jahrhunderts solte man in die- ser beziehung vorsichtiger sein.
Nach dieser abschweifung kehre ich zu meinem gegenstände wider zurück. S hon K. Burdach hat in seinem buche Beinmar der alte und Walther von der Vogelweide s. 162 durchaus richtig die bei aller verwantschaft des inhalts doch charakteristische Verschiedenheit des min- nesangs und der Vagantendichtung in der behandlung der naturempfin- dang betont Das einzige jedoch, was er in dieser beziehung erwähnt, ist die verschiedene empfindung beim gesang der nachtigall. M obreres bringt R M. Meyer in dem erwähnten aufsatze bei, aber nur gelegent- lich und natürlich von seiner vorgefassten meinung beeinflusst.
Zunächst sollen uns hier nun die abweichende art der winter- schilderangen und im Zusammenhang damit die momente beschäftigen, die auf eine gegenseitige beeinflussung hindeuten könten. Eine weitere ausführimg dieser Verschiedenheiten und berührungen bleibt einem spä- teren aufsatze vorbehalten.
Auch im älteren MS. bewegt sich die Schilderung bisweilen in algemeinen Wendungen, die nur den Wechsel der zeit ausdrücken. So singt Dietmar von Aist 37, 30 Sich hat verwandelöt diu %it; aber er fügt charakteristisch hinzu: clax versten ich an den dingen (und zwar an dem verklungenen nachtigallensang und dem fahlen walde). Dahin gehört auch 39, 30 Urlop hat des sumers brehen; 140, 32 (Heinrich von Körungen) Uns ist vergangen der liepliche sumer (vgl. 118, 7 Bligger von Steinach swie schiere uns diu sumerxU aber zerge). Die Wirkung des winters auf die äussere natur und auf das gemüt des dichters wird gelegentlich durch attribute gekenzeichnet. So heisst es 33, 18 (Dietmar von Aist) zergangen ist der Hinter lanc (dieselbe for- mel 184, 1 in einer Reinmarschen bzw. Ruggeschen strophe); 216, 5 (Hartmann von Ouwe) winter lanc; 108, 16 (H. v. Rugge) der tvinter hin lullt anders sin /ran swaere und, äne mdze lanc; 191, 28 (Rein- mar. nach E.Schmidt H. v. Rugge) der swaere iv., desgleichen 203, 26 in einer Beinmarschen strophe (nach E. Schmidt ein adespoton); eigen- tümlich fügt sich dazu Walther 118, 33 fg. der halte winter ivas mir gar unmaere, ander liutt dükte er swaere (das sieht fast wie eine direkte anspielung aus!); auch Hartmann sagt 216, 2 gegen der sivae- ren zit. Am einfachsten sagen Ulrich von Gutenburg 71, 6 und H. v. Rugge 99, 33 der winter halt, desgleichen Walther 114, 30. 118, 33.
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Eine spur von persönlicher auffassung des winters zeigt sich bei H. v. Veldeke 59, 16 fg. trau ea //•// //// winter sin, der nus sim leraft erzeiget an den bluomen und dann erst bei Waltner 39, 8 sin gewalt ist so breit und so iril (vgl. oben ( T> r_\ ] eis frif/oris)1. Der „gelehrte" Hartmann hat in seinem ersten liede 205, •''> i\ru merk- würdigen ausdruek min sanc ensüle des winters wäpen tragen, dem ebenfals eine ausgesprochene persönliche auffassung des winters zu gründe liegt2.
Das eigentliche charakteristische an den Winterschilderungen an sich, d. h. soweit man nicht ihr Verhältnis zu der dargestelten liebes- empfindung ins äuge fasst, ist die innige teilnähme an den Verände- rungen, die in der natur vorgehn, der ausdruek des Schmerzes über den verlust der naturschönheiten, wie sie der sommer bot. So wird 1) der verlust der blumen (zum teil mit poetischer Personifikation) und das fahlwerden der beide beklagt3. MF19, 14 (Bietenburg); 35, 15 (D. v. Aist); 59, 17 (H. v. Veldeke); 82, 33 (R v. Fenis)4; 99, 32 (H. v. Kugge); 106, 24 (H. v. Rugge); 140, 33 und 36 (H. v. Morungen) vgl. mit Walther 75, 36; 169, 11 und 14 (Reinmar): 191,30 (Reinmar oder H. v. Rugge); 216, 1 (Hartmann). 2) Heide und wald werden zusammen beklagt: 99, 29 (H. v. Rugge); Walther 39, 2. 3) Blumen und wald: 83,26 (R. v. Fenis). 4) Der entlaubte wald: 37, 34 (D. v. Aist); 82, 26 (R. v. Fenis). 5) Die entlaubte linde: 4, 1 (namenlos); 37, 19 (namenlos); 64, 26 (H. v. Veldeke). 6) Das verstummen des vogelsangs: 34, 15 und 37, 18 (D. v. Aist); 59,13 und 62, 35 (H. v. Veldeke) ; 83, 28 (R. v. Fenis); 106, 26 (H. v. Rugge);
1) Vgl. Wilmanns, Leben und dichten Walthers von der Vogelweide s. 410. Wenn übrigens liier gesagt ist. dass "Walther unter den minnesängern der erste gewe- sen sei, der in dem liede 39, 9 von einem streite des winters spreche {weixgot er IM noch dem meien den strit), so muss ergänzend hinzugefügt werden, dass Kein- mal' 188, 35 doch wol auch darauf anspielt und ebenso 191, 32 fg. (nach E. Schmidt eine Ruggesche strophe): diu nahtegal uns schiere seit, dax sich gescheiden hat der strif. Allerdings sind diese algemeinen andeutungen das einzige, und das ist sicher gegenüber den lateinischen liedern auffallend.
2) Vgl. Wilmanns a. a. o., wo die charakteristische stelle aus des dichtere erstem büchlein angeführt ist.
3) Diese citate schreibe ich nicht aus, weil das schon häufig geschehen ist und weil dieselben einen zu breiten räum beanspruchen würden.
4) In dem adjektivischem partieipium betivungen liegt nicht eine Personifikation des winters , wie Berger a. a. o. s. 450 meint ; dasselbe hatte im mhd. gewöhnlich die bedeutung bekümmert . niedergeschlagen. Es liegt also, wo die minnesänger es als attribut der blumen, der beide, der vögel usw. vrnvenden, eine poetische beseehing dieser gegenstände vor. Vgl. MSF 233 (anmerkung zu 16, 14).
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216, 5 (Harrmann): Walther 39, 3; 75, 38; 111. 23. 7) Das schwei- gen der aachtigall: 18, 17 (Rietenburg); 37. 32 (D. v. Aist); 99, 34 (H. v. Rugge).
Andere anzeichen mehr physikalischer art, also in der weise der vagantenlieder, erwähnt nur II. v. Veldeke 59, 11 fg. und 64, 26. Dort heissl s: Sit diu sunne ir liehten schin gegen der kelte hat geneiget — und hier: K\ habent die bitten nehte getan, dm diu löuber an den linden winterliche valwiu stau. Er ist der einzige unter den alteren höfischen dichtem, der in dieser hinsieht bekantschaft mit den liedern und der ausdrucksweise der fahrenden kleriker zeigt1, wie er ja auch ein gelehrter dichter ist, der nicht nur französisch, sondern auch gut latein verstand. Man vergleiche nur beispielsweise das von Du Meril a. a. o. s. 235 abgedruckte lied, worin es heisst: cahr liquit omnia et abiit, nam signa caeli ultima sol petiit; iam nocet frigus teneris et nris bruma laeditur — ; est inde dies niveus, nox frigida usw. 8 inst ist das hauptanzeichen des winters im älteren minnesang der schnee (6, 9. 58, 29. 82, 29. 106, 25. 140, 33. Walther 75, 37), der reif erscheint nur 203, 30 (Reinmar, nach E. Schmidt ein adespo- ton) und Walther 75. 37. 114, 23. Die kalten winde sind ursprüng- lich nicht dem minnesang, aber in ausgedehnter weise der lateinischen dichtnng und daher auch dem vagantenlied eigentümlich (wie auch der - i).
Charakteristisch für den minnesang sind ferner die klagen über den entschwundenen sommer und die traner infolge des winters: 37, 18 (namenlos); 83, ^ (R v. Fenis); 140, 36 (EL v. Morungen); 169, 14 (Reinmar): 59, 15 und 67, 15 (H. v. Veldeke); 82, 31 (R. v. Fenis); los. 16 ^g. ,H. v. Rugge); Walther 39, 1 fgg. 76, 4 fgg. 114, 30.
3o zeigt sich als«» aufs deutlichste der verschiedene ausdruck der im innersten gründe gleichen Vorstellungen. In ähnlicher weise abstrakt wie die Winterschilderungen der vaganten hinsichtlich der Veränderun- gen in der natur ist nun aber auch die art, wie sie sie mit der lie-
lpfindung verbinden. Mone a. a. o. nr. 18 heisst der winter im- portuna Veneria aber im innern fühlt der sänger liebesglut: amor est in pecton nidlo frigens frigore. Noch energischer drückt den gedan- ken nr. 21 aus: foris algens corpore fiammas intus sentio — und wei- ter: totum cogat Spiritus Borects in glo/icm, tarnen hoc proposi&um non uariem. Ähnlich aber noch mehr reflektierend singt der dichter
1 1 Oben 8. 15 war auch IT. v. Veldeke der einzige unter den älteren minne- igpm. der die persönliche anffassnng des winters in der weise der vaganten zeigte.
VERWERTUNG DER NATUR DUBOH DIE VAGANTEN ü. MINNESINGER 17
von CB 42, 2: -s'"/ amorein, qui calorem nutrit, nulla vis frigoris palet attenuare. Und wider ganz in demselben tone singt ein anderer bei Du MeriJ a. a. o. s. 235 fg.: Modo frigescit quidquid est, sed solus ego caleo — und nun folgt eine weitere ausmalung dieses feuers, das schlimmer sei als das griechische feuer. CB 32 behandelt in ganz lehrter weise die liebe der elemente zu einander, die vom aordwinde gestört werde. Auf menschliche Verhältnisse übertragen hören wir von dieser störenden Wirkung CB 95, 3: Ad obsequendum Veneri vis tota languet animi, fervor abest pectori, iam cedit calor frigori1. Ein anderer. CB f>(>, 1 hält die Übereinstimmung /wischen winter und schlafendem liebestrieb für tierisch und fahrt fort: Nimquam amans sequi volo vices temporum bestiali more. Ein später lateinischer Sän- ger bei Wattenbach a. a. o. ruft schon ganz in der weise des minne- sangs aus: Non in flore sei amore iocundor pueUari — und str. 1: Decoris tut claritas, si/mul tua benignitas flos est mihi vemalis.
Im minnesang ist nun die Verknüpfung von Winterschilderung und liebesempfindung im ganzen eine geistigere; aber auch hier lässt sie sich auf die beiden formein zurückführen: 1) Winterklage und lieh' schmerz im einklang und 2) Winterklage und Liebesschmerz im kontrast. Das ursprüngliche und natürliche ist die einfache win- terklage und die parallele dazu aus dem liebesieben.
Einfache winterklage ohne deutliche beziehung auf das Liebesver- hältnis oder die liebesempfindung finden wir noch beim Rietenburger 19, 14 fgg. (vgl. jedoch W. Scherer, Deutsche Studien II, Wiener Sitzungsberichte 77, s. 468), bei H. v. Yeldeke 59, 11 fgg. und (57, 15%.; desgleichen bei Rugge 108, 14 fgg.; bei Pseudo-Reinmar 203, 24 fgg. bildet die Schilderung schon den hintergrund für die Schilderung <\<-r beneideten freude in den folgenden Strophen. Ferner gehören hieher die beiden Walthersehen lieder 39, 1 fgg. und 7."». 25 fgg.. in denen zwar die gewöhnlichen typen, aber in freier und selbständiger weise verarbeitet werden, um die empfindung des dichters, klage über den winter und Sehnsucht nach dem sommer zum ausdruck zu bringen.
1) Derselbe Sänger klagt str. 1 dass: grando nix et pluvia corda reddunt segnia. Str. 2 erwähnt in der individualisierenden art des deutschen minnesangs den
verstumten vogelsang, die des grasschmuckes beraubte erde, dann aber wieder nach vagantenart den trüben Sonnenschein und die schnell dahineilenden rage. Str. 3 ist die oben citierte; str. 4 klagt wider: In omni loeo eongrtto sermonis oblectatio cum sexu femineo evanuit omnimodo. Das lied ist somit ein sprechendes beispiel für die art des vagantengesanges um 1200, wo der verkehr der Jährenden kleriker und der fahrenden ritterlichen sanger unter einander lebhafter zu werden begann und --inen
anstansch der anschauungen zu wege brachte.
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ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXIII.
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Die einfachste art winterklage und liebesschmerz in parallele zu setzen, zeigt HF 1. 1 fjjg.: Die linde ist entlaubt, mein geliebter mei- det mich und geht andern trauen nach. Das ist einfach und ganz in der weise «inti> Volksliedes: das bewustsein mit der umgebenden natur - h in einklang zu fühlen ist nur dunkel angedeutet. Dem inhalte nach auf gleicher stufe steht 37, 18 fgg., auch eine alte namenlose Strophe (vgl Scherer, Deutsche Studien II, s. 437). Nur ist die win- terschilderung mannigfaltiger und subjektiver und der zweite teil eine aufforderung an den geliebten, andere frauen zu meiden. Dieser alten und einfachen art steht noch Dietmar nahe in der frauenstrophe 34, 11 fgg. Wie aus der erinnerung an den schönen sommer, den die frau in lie- besglück verlebt hat, ruft sie aus: sit ich bluomen niht ensach noch enhdrte der vögele sanc, sit /ras mir min fröide kurz und ouch der jämer alze laue. Wie viel komplizierter ist dagegen EL v. Rugge, dessen anschluss an die volkstümliche tradition des natureingangs so vielfach betont ist! Es gehört hierher 99, 29 — 100, 11. Auf die ausführliche winterklage (beide, wald, blumen, nachtigall) folgt zunächst eine beteue- rung, da— >ein herz der geliebten trotzdem treu bleibe, alsdann in der zweiten Strophe der wünsch freude durch sie zu erlangen und dann erst die klage, dass ihm nur leid geschieht und die indirekte bitte, seine stä- tigkeit zu belohnen. Das liebesverhältnis also überdauert den winter, die parallele besteht nur zwischen der trauer über den winter und der trauer darüber, dass die geliebte ihren ritter nicht erhört1. "Wie sehr H. v. Rugge schon in der ausdrucksweise des höfischen minnedienstes befan- gen ist. zeigt ein vergleich mit H. v. Morungen, der sich anerkanter- massen von dem traditionellen ausdruck des naturgefühls fernhält. 140. 32 fgg. zeigt fast dieselbe ideenverbindung wie jenes Ruggesche lied, nur in anderer reihenfolge. Die Winterschilderung ist ganz kurz: Uns ist zergangen der liepliche sumer. da man brach bluomen, du lit im der sne2. Darauf folgt die klage über den liebeskummer und dann die Versicherung, dass die freude an der Schönheit seiner gelieb-
1) Vgl. "Wilmanns, Leben und dichten Walthers von der Vogelweide s. 172: „Die strenge auffassung des ausgebildeten minnedienstes aber sträubt sich gegen diese vorübergehende sommerliebe. In ihm wird die Jahreszeit nicht in beziehung zu dem liebesverhältnis gesezt, sondern nur in beziehung zur empfindung, sei es dass solche anerkant oder abgelehnt wird.- Die stelle ist wol klar genug, und wenn. Max Ort- ner. Keinmal der alte, die Nibelungen s. 55 behauptet, sie nicht zu verstehn, so erklärt sich das nur durch seine Voreingenommenheit oder dadurch, dass er dem gegenstände nicbt die volle aufmerksamkoit zugewendet hat.
- Vgl. Walthei 75. 3G und R. M. AYerner in seiner recension über Michel, Heinrich von Morungen (A. f. d. a. 7, 125 fg.).
VERWERTUNG DER XATUR DURCH DIE VAGANTEN' U. MINNESINGER 19
ten ihn gegen den verlust der sommerfreude gleichgiltig mach«1. Aber auch schon R. v. Fenis zeigt die ganze ritterliche dialektik in der aus- malnng jener parallele. Von ihm sind zwei winterklagen überliefert 82, 26 fgg. und 83, 25 fgg. Dort heisst es: Es ist winter (wald, vogel- sang; schnee) — darum leide ich not; aber ich Leide noch anderen kummer: fände ich gegenliebe, so Aväre all mein kummer geheilt, denn die geliebte ist über die massen schön. An der zweiten stelle ist die parallele versteckter und die gedankenverbindung spitzfindiger: Mein schmerz über den entschwundenen sonimer wird nicht durch süs erinnerungen gemildert, wie bei andern; solte der winter meinen wünsch erfüllen, müste ich ihn loben; aber die geliebte Lässt mich unausgesezt klagen. — Direkte Opposition gegen die konventionelle art, über den winter zu klagen, macht dann Beinmar d. a.; er hält es nicht der mühe wert gegenüber dem kummer. den er leidet (169, 9 fgg.) \
Der ausdruck des kontrastes zwischen naturempfindung und lie- besempflndung ist an sich betrachtet jünger als die parallele beider. Jedoch findet er sich auch bereits im ältesten minnesang und auch in ganz anderer weise als in der Vagantendichtung.
Der Rietenburger beklagt 18, 17 fgg. den verklungenen nachtigal- lengesang und fährt fort: doch tuot mir sanfte guot gediiige, den ich von einer frowen hän. In derselben einfachen form gibt D. v. Aisl 37, 30 — 38, 4 den kontrast wider: die zeit ist verwandelt, die nach- tigall schweigt, der wald steht fahl — ienoch stet dm l/< r,< min in ir geweilt, der ich den sumer gedienet hän diu ist min fr&ide und al n/in Uep. Eine Steigerung dieses gefühls enthält die frauenstrophe 6, 5 fgg.: mich dünket winter nnde sne schoene bluomen unde hie, swenn ich in umbevangen hän. So singt auch noch AValther 118, 35 mir was die icile als ich enmitten in dm/ meien ivaerc: doch ist das gedieht Walthers nicht mehr so ganz naiver ausdruck eines über- wältigenden gefühls. In einfacherer weise bietet die gegenüberstellung wider der Veldeker in der strophe 64, 26, die oben schon wegen der Winterschilderung nach art der Vagantendichtung erwähnt wurde Es stimt damit die abstrakte art überein, wie er sein liebesglück dem winter gegenüberstelt : der minne hän ich g/ioten wan%. Als ein uner-
1) Vgl. E. Schmidt, Reinmar von Hagenau und Heinrich von Rugge (QF IV). S. 94.
2) Wenn übrigens E. Schmidt a. a. o. s. 91 behauptet, der Veldeker kenne gar keine freude im winter, so widerstreitet dem die obige strophe. — Den abstrak-
2*
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fülter wünsch wird die liebe als lieilmittol gegen die leiden des winters von K. v. Penis in dem oben besprochenen liede 82, 26 fgg. bezeich- net sowie von H. \. Rugge und H. v. Morungen in den eben daselbst behandelten Strophen. Recht reflektierend und gesucht drückt der in Eausens fussstapfen tretende Gutenburger diesen gedanken aus 69,4fgg.: und gern es mir diu <//<(>/< so wirt an minie sänge schhi der icin- noch kein swaere. Nicht mehr die Schilderung des geiühls an sich i>r ihm die hauptsaehe. sondern der gewählte ausdruck desselben1. Der in der oben erwähnten frauenstrophe 6, 9 fg. ausgedrückte gedanke gewint hei Dietmar 39, 30 --40, 2 bestirntere gestalt. Diese strophe von Burdach a. a. o. s. 77 fg. gewiss mit recht als frauenstrophe bezeichnet and hier ist die frau ebenso mit dem winter zufrieden: der winter und sin langiu naht di ergetxeni uns der besten %it, swä man bi liebe lange tit. Derselbe ersatz für die sommerfreude ist von D. v. Aist 35. 16 fgg. in form eines wTunsches ausgesprochen. Tat- ■hlieh hat er während des winters gram, da die geliebte den wünsch nicht gewährt: wir haben also schon, wrie wir es in den Fenisschen, Ri,_ _ sehen und Morungenschen Strophen oben fanden, Vereinigung beider formein. Lob des winters wegen der langen nachte haben fer- ner noch Hartmann 216-, 3 und Walther 118, 5. Während jedoch bei Hartmann die trauer über den winter vorherseht und die liebe in win- terlanger nacht nur den langen winter kürzt, wiegt bei Walther in Reinmarscher und Morungenscher art (vgl. z. b. MF 140, 32 fgg.) die liebesempfindung vor und erzeugt gleichgiltigkeit gegen den Wechsel der Jahreszeiten (vgl. auch 99, 6 fgg.). In demselben sinne singt auch der vielleicht von Fr. v. Hausen beeinflusste Bligger 118, 7 fgg.: swie schien uns diu sumerxit aber terge, des würde rät, mües ich ir hulde hän: du um im ich. für loup unde für Icle.
i zeigte sich also, wie auch in der Verknüpfung von natur- empfindung und liebesempfindung der minnesang von anfang an ganz eigentümlich vorgieng und im weiteren verlauf immer kompliciertere ideenverbindungen schuf, beeinflusst durch das wesen des höfischen diei Nur wenig und kaum nennenswertes konte ihm hier die
vagantenpoesie bieten.
. ausdruck, dass liebe den winterschmerz lindere, hat auch R. v. Fenis in dem oben besprochenen liede 82. 30 fg.: ist da% diu mirme ir giiete icil xeigen, so ist al min hm vräuden gestaU. Aber die zeilen vorher und nachher sind wider
durchaus individualisierend und an die eine bestirnte frouwe adressiert.
ll Vgl. Burdach. Beinmar der alte und AValther von der Vogelweide. S. 38.
VERWERTUNG DER NATCR DURCH DIE VAGANTEN' U. MINNESINGER "_' 1
Unter den dichtem nach Walther erfordert Neidhart eine beson- dere betrachtung. Er hat wie keiner vor ihm in solcher ausdehnung in seinen Liedern den ausgang von der Jahreszeit genommen, dass man diesen umstand vornehmlich als beweis für die anlehnung des dichters an das volkstümliche benuzt hat1. Im algemeinen hat es damit wo] seine richtigkeit, nur dass es immer nur Vermutungen bleiben werden, wieweit diese anlehnung geht Schon die parallele der volksmiissigm epik der höfe zeigt uns deutlich, dass man auch in höfischen kreisen für das volksmässige interesse zu fühlen antieng, aber es muste in höfisches gewand gekleidet sein, um courfahig zu werden. So liegl auch die sache bei Neidhart. Dass er in solchem umfang naturschil- derungen dichtete und seinen liedern vorsezte, war sicher eine anleh- nung an die volkstümliche art, an die natur- und tanzlieder, die er aus seinem verkehr mit dem volke kennen lernte. Die ausdrucksweise aber ist im grossen und ganzen nur die weiter ausgebildete höfische ausdrucksweise, wie denn sämtliche typen der naturschilderungen, wie sie sich bei den höfischen Sängern vor ihm finden, in seinen liedern widerkehren; aber sie sind phantasievoller, stimmungsvoller und man- nigfaltiger bei ihm verwendet, wie das ja natürlich ist, es zeigt das eben einen grösseren fortschritt in der handhabung des poetischen aus- drucks zur zeit Neidharts. Dazu gehört aber vor allem auch die grössere mannigfaltigkeit im gebrauch poetischer bilder und die weiter- gehende naturbeseelung, worin Walther schon einen grossen schritt vorwärts getan. Und hier war der steigende verkehr mit den fahren- den klerikern eine gute schule für den minnesang. Wir haben schon oben gesehen, dass gerade beim Yeldeker und bei Hartmann, die beide gelehrte bildung hatten und lateinisch verstanden, sowie bei AValther in vielleicht einem lateinischen liede direkt nachgedichteten Strophen spuren einer Übereinstimmung mit anschauungen, wie sie der vagan- tenpoesie eigen sind, sich finden, darunter einige stellen, die eine per- sönliche auffassung der Jahreszeiten voraussetzen, die im vagantensang so verbreitet ist. Diese persönliche auffassung ist aber bei Neidhart volständig in denselben formen erkenbar, in denen sie im vagantensang erscheint. Dem sich steigernden bedürfnis nach grösserer mannigfaltig- keit im ausdruck der naturempfindung boten die festen formen und anschauungen der vaganten, mit denen Neidhart sicher in fröhlichen stunden oft zusammengetroffen sein wird, bequemes material zu freier Verwendung. Wir sahen oben im ersten abschnitt, dass um 1220 die
1) Besonders R. v. Lilien cron in der schönen abhandlung über Neidharts höfische dorfpoesie in Haupts ztschr. 6, 69 fgg.
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Personifikationen der schaffenden kraft der natur und der triebkraft der erde - »entlich im minnesang eingang fanden; ungefähr zu derselben zeit gewann auch die persönliche airffassung der Jahreszeiten, besonders des winters in der weise der Vagantendichtung breiteren boden im min-
sang1. Di— schnelle Verbreitung der persönlichen Vorstellung der Jahreszeiten und der idee eines kampfes zwischen sommer und winter wurde sicher auch noch durch den geschmack der höfischen zuhörer
günstigt Man verlangte gern nach etwas nie dagewesenem und wunderbare kämpf»1 hörte man am liebsten, daher aecommodierten Neid- hart und mit ihm die spätem dichter sich diesem geschmack und würz- ten die traditionellen natursehilderungen durch persönliche darstellung der Jahreszeiten und die Schilderung ihres Wechsels als kämpf: als aven- tiure. Als schliesslich die schöpferische kraft des minnesangs erlahmte, wurde diese auffassung fast stereotyp, weil sie ein greifbares bild dar- bot, daher stammen in der ausgangszeit des minnesangs bis in den meistersam: hinein die beliebten Streitgedichte zwischen sommer und winter -.
Was wir im älteren minnesange nur ganz vereinzelt antrafen und auch da in Übereinstimmung mit der Vagantendichtung, das waren gewisse erscheinungen des winters physikalischer art. Neidhart macht einen ausgiebigen gebrauch davon. Da haben wir 1) die winde: .">. 15 hin ist dir seherfe wird; 35, 4 dine winde die sint kalt; 51, 2 und der waÜ muoz von suren /rinden ungevüegen schaden dulden; 75. 30 stm winde kalt habent dinen grüenen walt harte jämerlteh gestalt; 76, 21 heidi n vinger unde xshen sol ein ieslich man vor disen winden wol bewarn. 2) das wetter: 73, 24 Sumer, diner silezen weter müexen wir uns «neu (vgl. 58, 27)3. 3) die trüben tage:
. 24. 43, 21 fg. 54, 1. 58, 27. 101, 20 fg. 4) der trübe son- nen-die in: 50, 37 fg. 7(5, 17 fgg. Im älteren minnesang war schnee und reif als kenzeichen des winters genant; bei Neidhart komt in über- eihstunmung mit den vagantenliedern noch hinzu 5) das eis: 6, 1 dir /raff stuont aller grise rar sne und oach rar im; 38, 9 kint,
r<il>t 'iuh dir sHten n f dir. in; 76, 8 fgg. is und anehanc hat der
1) Vgl. zu dieser ausführung noch Wilmanns a. a, o. s. 409 fg.
2 Gerade die darstellung des winters zeigt sehr viele Berührungspunkte mit der Vagantendichtung, während die persönliche darstellung des sommers bezw. frühlings im spateren minnesang selbständigere wege einschlug.
I nvähnung des wetters ist im minnesang überhaupt selten. Nur H. v. Veldeke 25 sagt da er wider klare (vgl. 65, I'.'j) und vielleicht noch bruder
AVernher 3LSH JI. 229 der himel reiniget sieh; vgl. CB65, 1 celo ynriorc u. a.
VERWERTUNG DER NATTJB Dl RCB IHK VAGANTEN l . MINNESINGEB
vogeline saue gar gestillet in den weiden. Die erwähnung des mos
ist für Neidhart um so auffallender, als ausser ihm in der grossen schaar der minnesinger nur noch K. v. Würzburg einmal MSHIII, 334b, der um 1300 dichtende Kauzler einige male und einmal noch ein Pseudo-Neidhartisches lied MSH III, 293b das eis als kenzeichen des winters erwähnen.
Von attributen erhält der winter bei Neidhart folgende: er heisst vorzugsweise wie im älteren minnesang der kalte, aber auch der küeh 7, 23 und 79, 37; der lange 9, 16; der scherpfi 7. 23 und 82, 5; der leide 38, 10. 41, 33. 55, 21. 59, 37; er heisst diu swaere tit 78, 15; diu lange swaere \it 73, 27 und 86, 32 (winterlange sw. . .). Erst in unechten liedern lesen wir dann; der arge winter, der unge- riiege, ungetane, leidige w.} also mehr der Personifikation zuneigend. Aber auch schon bei Neidhart erscheint nun der winter gern personi- ficiert als ein gewaltiger held, der mit grossem gefolge auftritt, ungnä- dig und grausam, der alles traurig macht; ferner als räuber; dem sommer ist er ein geschworner feind, er verjagt ihn, vernichtet ihm alle seine zierden, den grünen wald und die heide, und sezt sich auf seinen stuhl; wird aber schliesslich vom sommer verdrängt und ver- jagt und muss Urlaub nehmen. Die ausführung der allegorie im ein- zelnen ist natürlich ganz im höfischen geschmack. Des winters geweilt ist genant 35, 1. 75, 26. 85, 7. 95, 9. Damit steht im Zusammen- hang die häufige Verwendung des sonst dem höfischen minnesange eigentümlichen verbums twingen (subst. getwanc) zur bezeichnung der vom winter ausgeübten gewalt: 11, 11 (= CB 130 a). 14, 16. 17, 6. 36, 20. 63, 7. 73, 29. 75, 25. 101, 21 und 23. Der winter ist ungnädig und gewalttätig; 17, 16. 35, 22. 38, 14. 95, 12 fg. Er macht alles traurig: 4, 35. 19, 18. 21, 38. 52, 28. 54, 2. 73, 25. 76, 6 fgg. 85, 12. 86, 32 fgg. 89, 6 fg. 92, 14 fgg. 99, 4 fg. Der winter ist ein räuber: 22, 11 fg. 38, 11. 46, 36. 55, 20 fg. 75, 27 fg 76, 2 fgg. 89, 9 fgg. 95, 10 fg. 99, 6. Ei- i rscheint mit gefolge 75, 27 fgg. 95, 8. 99, 9. Die feindschaft zwischen* sommer und winter wird 85, 8 und 95, 6 fg. erwähnt. Der hass des winters gegen den sommer und der kämpf mit ihm um die herschaft wird besonders aus- führlich 75, 15 — 76, 25 in drei Strophen ausgeführt. Es vereinigen sich in dieser Schilderung mehrere motive des vagantengesanges: kalte winde, trüber Sonnenschein, eis; daneben der winter als räuber und seine gewalt. Dahin gehört alsdann noch 59, 37 ihr leide winder hat den sumer hin verjagt. Der vom sommer vertriebene winter erscheint dann 8, 13. 57, 24 und 17, 9.
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Auf die übrigen demente, aus denen sich die winterschilderungen bei Neidhart zusammensetzen, gehe ich nicht Daher ein; sie entsprechen s oau den typen des älteren minnesangs. Der höfische Bänger doku- mentiert sich ferner in der widerholt ausgedrückten traner über den winter und den verlust des sommers; das trüren aber machte einen ritt' st int- — int Nur einen pnnkt hebe ich noch heraus. Neid- hart klaut 16. 33 und 62. 36, dass die linde nun keinen schatten mehr ?ebe. Noch einmal in einem sommerlied erwähnt er den schat- ten der Linde, der kühlung gewährt: 6. 14. Die erwähnung des bau- messchattens und der schattenkühle ist im miunesang sehr selten. Wir haben ein beispiel bei Walther in dem schönen liede 94. llfgg. (-4 fg.) </>r. diu linde maeri di n küelen schoten baere; ferner in ähnliche form
kleidet wie bei Neidhart bei U. v. Winterstetten III. 7 C\ISH I. 139a) <h k binden M linden der schote ist im benomen; alsdann beiYrouwen- lop III. 30 (MSH 111. 19b): Mich triiegen mim vüexi in einen schaten wumieklich uni gienk mo einer linden, und bei K. v. Würzburg I, 3 iMSH III. 334b) dar obe stuond ein schatehuot gewünschet mal mich prise. Andrerseits ist die schattenkühle und das ruhen in baumesschatten ein in den vagantenliedern sehr häufig erwähnter zug und vielleicht ein mutiv. das ihnen aus der antiken dichtung überkommen ist. Wilmanns erinnert zu dem Waltherschen liede an den anfang der Apokalypsis Groliae (Wright, Walther Mapes s. 238), wo der natureingang und die Einkleidung des gedientes ähnlicher art sind (Leben und dichten Wal- thers v. d. V. s. 402). Frauenlob haben wir oben schon als gelehrten dichter kennen gelernt. U. v. Winterstetten und K. v. Würzburg sind
nicht minder und zeigen auch sonst mehrfah anklänge an die Vagan- tendichtung (in der strophe Konrads wird auch das eis erwähnt, s. o.). 3 • kann der baumesschatten aus der gelehrten dichtung bzw. vagan- sehrwo] entlehnt sein. Das Alexanderlied erwähnt ihn 5174%. und auch sonst ist er dem epos nicht ganz fremd; da mag aber der emfluss der vorlag« ach bemerkbar gemacht haben.
Hinsichtlich der Verknüpfung von Winterschilderung und liebes- empfindung zeigt Neidhart im vergleich mit dem älteren minnesang wenig besonder« s. Bekantlich gehört hierher nur ein kleiner teil der winterlieder. während die anderen nach dem eingange eine Dörper-
zahlung enthalten. Er steht mit jenen ganz auf dem boden dc< höfi-
hen minnesangs, wenn er auch gelegentlich kräftigere töne ansehlägt. Auch er beklagt nicht wie die vaganten das aufhören des Liebesverhält- nisses im wint' indem die trübe Stimmung, in die ihn die geliebte zt. die seine liebe nicht erwidert, die um -einen dienest und
VERWERTUNG DER NATUR DURCH DIE VA'.ANTKN V. MINNESINGER
seinen sanc sich nicht kümmert, deren liebe ihm durch nebenbuhler entwendet wird, der er widersagt, wie der winter uns allen widersagt Bisweilen wird die gegenüberstellung bei ihm blosser verstandesmäs- siger vergleich, wie /. b. 79, 36 — 80. 2: mirst von herzen leide, da* der küele winder verderbet schoener bluomen vil: 80 verderbet mich du seneMchiu arebeit; oder 82, 3 Igg. in der etwas blasierten manier Reinmars: si Idagent, dax der winder kaeme nie vor manger vii seherpfer noch so stmnder, s6 Mag ich min vrouwen; oder 99, 6 fgg. der winter hat uns blumen und gras geraubt: (11) also hat ein wip mich beroubet gar der sinne u. m. a. Eine besondere Wendung ist noch 73, 26 fgg.: meine geliebte lässt mich ungetröstet: wie soll ich da den winterschmerz überwinden? Doch ist «las nur eine umkehr der typischen wendung: die liebe der trau tröstet über den winterschmerz, die natürlich bei Neidhart auch mehrfach sich findet, jedoch nur in der form des wimsches.
Über den späteren minnesang ausser und nach Neidhart will ich nur weniges hinzufügen. Er hat mehr als irgend ein anderer sänge r einfluss auf die späteren ausgeübt: das zeigt sich schon in der über- grossen anzahl unechter lieder, die unter seinem namen überliefert sind. Ferner zeigt es sich darin, dass seine art der naturschilderungen sich mehr und mehr einbürgert. Aber man geht in der Personifikation noch weiter vor. Dem winter werden grimm, neid und zorn, wie im vagantensang rabies, ira, saevitia beigelegt; eine reichere auswahl von beiwörtern erhält er, so neben den oben genanten noch: ungehiure, ungevüege, reige, grimme, ungeslaht, unbescheiden, wodurch immer mehr der winter unter dem bilde eines riesen erschien, aber nicht eines riesen des alten germanischen heidentums, sondern eines riesen, wie ihn die höfischen epen schildern, mit dem der sommer oder mai als glänzender ritter kämpft. Zu den dichtem, die die persönliche darstellung des winters in dieser form besonders lieben und im einzel- nen darin berührungspunkte mit den vagantenliedern aufweisen, gehö- ren die beiden Schwaben G. v. Xeifen und U. v. Winterstetten , die Schweizer Steinmar, K. v. Landeck. W. v. Honberk, 0. zem Turne und der oberdeutsche Kanzler.
Schliesslich noch ein paar worte über die deutschen Strophen der CB, welche wintersehilderungen enthalten. Es ist im algemeinen unhalt- bar, selbst wenn die deutschen Strophen inhaltlich mit den vorausge- henden lateinischen sich decken, daraus eine volständige abhängigkeit des deutschen minnesangs von der Vagantendichtung zu folgern. Aber es ist auch wider nicht zutreffend, wenn Burdach a. a. o. s. 162 sagt:
26 K. RÖHBICHT
..Die deutschen anonymen Strophen enthalten durchaus die alten de- mente der volkstümlichen naturpoesie in ungetrübter reinheit." Von der „volkstümlichen naturpoesie" wissen wir nichts gewisses und, um bei den Winterschilderungen zu verweilen, gleich 98a der storche win- der weicht von der terminologie des älteren minnesangs ab; der spä- tere minnesang hat, wie wir sahen, ähnliches aber nicht dasselbe. Das persönliche moment, das in dem attribut storch liegt, ist in der weise des späteren minnesangs, der nach dem vorgange der Vagantendichtung den winter personifizierte. Das lateinische lied 98 könte im algemei- nen die veranlassung der deutschen strophe gegeben haben. Vollends die wendung 100 a der winder der heiden tet senediu not zeigt so ■ht die art des späteren minnesangs: persönliche auffassung des win- ters, aber dabei höfische terminologie, als mischung beider elemente (vgl. Psendo- Neidhart bei Haupt XLVil, 15 fg. ir schouwet an die linden, nie seneMch diu stdt, die der kalte winder also verderbet hat). Auch unter den übrigen Winterschilderungen ist keine, die der älteren art des minnesangs ganz entspräche; vielmehr tragen sie alle ohne aus- nähme die spuren einer zeit, in welcher fahrende kleriker und fahrende deutsche sanger sich mischten.
KÖNIGSBERG I. PR. K. MAROLD.
DIE JERUSALEMFAHRT DES HERZOGS FRIEDRICH
VON ÖSTERREICH nachmaligen kaisers Friedrich III. von Deutschland (1436).
Ein mittelhochdeutsches gedieht.
In der litteratur des deutschen mittelalters nimt einen bedeuten- den platz die sogenante Palästinensische ein, das heisst die grosse gruppe der auf Palästina bezüglichen Schriften. Dieselben sind teils eigen*- reisebeschreibungen, teils bearbeitungen bekanter und wichtiger reisebücher, oder Instruktionen, in denen die pilger alles für die fahrt notwendige erfahren, also Baedekers, oder auch ablassbücher, welche die mit den heiligen statten verbundenen ablasse aufzählen, oder end- lich beschreibungen des heiligen landes resp. einzelner teile desselben. Wie gross die zahl dieser schritten auch ist — wir kennen bis jezt im ganzen nur zwei, welche in versen abgefasst sind, zu denen unser text als dritte und zugleich als älteste neu hinzutritt. Die pilgerreise des
JERUSALEMFAHKT DE8 HERZOGS FRIEDRICH 1436 27
lezten graten Philipp von Katzenellenbogen (143)5) ist nämlich nicht bloss in prosa1, sondern auch in einem umfangreichen gedieht von 2550 verseil geschildert worden; aber dieses stamt aus dorn jähre 1477 und ist bisher nur in einem kleinen brachstück bekant gewor- den2. Ausserdem besitzen wir noch über die 1480 von dem Ulmer lesemeister Felix Fahri unternommene pilgerfahrt eine gereimte dar- stellung.
Unser text nimt daher, auch abgesehen von dem Lnteresse der per- son des reisenden eine bevorzugte Stellung in der mittelalterlichen pil- gerlitteratur ein; aber wir müssen doch auch gestehen« dass seine bedeutung für den behandelten stoff nicht gross ist. Die tradition in bezug auf die besuchten heiligen statten, für die der autor einen fäh- rer in einem ablassbüchlein besass und benuzte, erfährt keine bedeut- same erweiterung, und über den verlauf der ganzen reise erfahren wir wenig neues, nämlich nur den namen eines Peter Leschenbrand (v. 143; zulezt von allen namentlich aufgeführten teilnehmen] erwähnt!), den man als Verfasser anzunehmen geneigt sein möchte, und eine kleine notiz über die gefahr, welcher der herzog bei seiner abfahrt von Jaffa ausgesezt war, während die namen von drei mitpilgern fehlen und die übrigen fast genau in derselben reihenfolge wie in der haupt- quelle uns begegnen. Dazu komt, dass der text, welcher nur in einer einzigen handschrift erhalten, also nicht durch vergleichung corrigier- bar ist, viel lücken und offenbare Verderbnisse bietet, so dass wir die hilfe des herrn dr. Arwed Fischer zu suchen genötigt waren. Trotz alledem ist das litterarische und sprachliche interesse gross genug, um einen abdruck des textes zu rechtfertigen, als dessen gleichzeitiger Verfasser ein österreichischer reisebegleiter angenommen werden muss, da er vom Semring spricht (v. 303).
Die hauptquelle für die geschiente unserer reise ist das vom kaiser Friedrich III. selbst abgefasste diarium3, welches auch in meinen
1) Herausgegeben von Röhricht und Meisner, Z. f. d. a. 26, 348 — 71.
2) Bei K. AV. Justi, Vorzeit 1821, 43 — 74. Die grundlage bildet der Giesse- ner codex nr. 161 (aus dem wider der Casseler codex 116, 64 — 79 einen prosaauszug gibt). Ein zweiter codex ist von dr. Ewald Wer nicke in der gräflich Solmschen bibliothek zu Klitschdorf in Schlesien entdeckt worden; proben davon im Herold 1887 nr. 1 und in der Z. f. d. a. 32, heft 1.
3) Jos. Chmel, Geschichte kaiser Friedrichs IV. und Maximilians I., Hamburg 1840 I, 581 fgg. (vgl. 277 — 80); aus dem original gaben schon die Histor. docum. Styriae, Graeciae 1728, II, 77 — 78 und Hoheneck, Genealogie der ob-der-Ensi- schen stände, Passau 1732, 118 — 19 auszüge.
R. RÖHRICHT
Deutschen pilgerreisen1 benuzt und von W. Xeumann2 durch kleine beitrage ergänzt worden ist.
Unsere handschrift, welche der leztgenante zuerst3 und zwar auf mitteilung des hofrates dr. von Birk in Wien als eine Londoner aber ohne jede nähere Signatur nachwies, ist im dortigen Britischen museum Addit. 16592 s. XVI schmal 4° erhalten (fol. 12 — 22). Eine sorgfältige copie besorgte uns der conservator der handschriften dieser bibliothek herr dr. J. H. Jeayes, und lierr Hugo Bartels, secretär des Vereins deutscher lehrer in London, hatte die freundlichkeit, sie gründlich nach- zucollationieren. Beiden herren sei hiermit der herzlichste dank aus- prochen.
1) 474—75.
_ Die Jerusalemfahrten der älteren Habsburgischen fürsten in: Berichte und mitteilungen des altertums - Vereins Wien 1881, XX, 138 — 48. 3) Ebd. 148.
Kayser Fridrichs moerfart In zeit, als Er Ertzhertzog
zu Österreich gewest ist. (fol. 12.)
Da man zalt vierzehenhundert jar
Vund in dem sechsundreissigstn jar, das ist war,
Nach Christi gepurt, hab ich eruaren,
Da hueb sich der Fürst hochgeborn, 5 hörtzog Fridriech genanndt,
von Österreich wol erkhannd,
Hochgeborn vnd freyes muett,
Der gab auf land, stet, lewt und guet,
pnieder. Schwester, junckfrawen und Frawen 10 Vund wolt dy Ritterschaft pawen,
Zogt In seines lanndes her
Zu seiner stat Triest, lewt bey dem mer,
Dye Iren ern thet geleich.
Sy warf auf dye panir Österreich. 15 Zu dem Furstn Riden vund giengen
Mit dem hayltumb sy In empfingen
10 Es ist die ritterschaß des heiligen grabes gemeint; vgl. Röhrichl . Deutsch' jjilgerreisen (Gotha, Perthes) 8. 23 fg.
12 Triest war seit dem jähre 1382 österreichisch.
16 Reliquien wurden dem ankommenden fürsten in proecssion entgegen- getragen.
JERUSALEMFAHRT DES HERZOGS FRIEDRICH 1436 29
vund belaytten In Ein und beginn! n in ern
als dann ain stat Irm Rechtn herrn.
Daselbs der Fürst des Rastn phlag 20 Vuntz auf den versprochen tag,
Das er weit wusen der von;
Man zaigt sein wappen slachen on,
Dve Ritterleichen sind erdacht
vund maisterlich sind volbracht 25 Griten, Rot, weis gemacht
mit golt Silber gesprengt . . .
Jedem nach dem seinen weis
wie er scholt haben des Schildes preis.
Da pey dem weisen wurt erkandt, 30 von wan yeder geadl wer von land.
der edl fürst het In erdacht,
wie dv Rais solt werden volbracht,
vund wolt auch nicht abelan,
Solt Im das leben darumbe zergan; 35 Er wolt gein heilling grab kern,
got zu lob dy Ritterschaft mera.
Umb sand larentzentag das geschach,
Das man den Furstn auf prochen sach (fol. 13.)
Zu dem vor genanden jar, 40 Als ich hab gezelt vor,
und emphalh sy dem patrian,
das er In aufs mer schift hin dan
22 Vgl. den ausdruck v. 150.
24 vobbracht hs.
25 Sonst werden rot und weiss als wappenfarben Österreichs genant. Auch die heutige kriegsflagge ist rot -weiss -rot; aber in der Handelsflagge ist der untersU
streifen zur hälfte rot und \ur hülfte grün.
26 Nach diesem verse ist eine lücke.
30 geadel adjeetivbikhing vergleichbar mit gemäc, geslaht und ähnlichen Grimm, Gramm. 2, 740; bisher in keinem wörterbuche belegt.
32 Die hs. in prosaischer Wortstellung volbracht werden.
34 darumbe n zergen hs.
37 Friedrich selbst sagt im diarium 584: .,in dem sex und dreissigsten jar an Sand larenezen abent pin ich zu Tristi ouff das meer gesessen.- Es war der 9. august.
41 patrian = patron, schifsführer. sy = sie, d. h. die ganze marmsehaft? oder fehler der hs. statt sich?
30 R. RÖHRICHT
vund In dann aufs Strasse solt kern.
wie In got mit geluckh tot Lern 45 auf dos wildes mors flut,
das mit Im selbs puetunt tlniet.
maniger thuet von pressen sagen,
das sey das guet vil gelt zeriagen.
Ich lass yodom soin Red wol pawn 50 dy heilling stet sind auch gets besehawn,
wan doch ainer zu aller Frist
Auf dem mer nimen sicher ist,
er wais nit, wann ain wind her waet
vnnd In an ain Insel siecht 55 Vunnd er demnach frue und spat
Gefanngen lewt, kain Rue nicht het
des ist gein preissen nicht hin ein;
drey wochen mag er zu hanncl sein,
das Im dve Strasse ist frey erkannd 60 Recht als war er da haim pey dem Land,
wiert dann ain streyt da gethan . . .
Oder das man zu fallen thuet
ledig macht vmb guet.
Wiert man auf dem mer griffen on, (55 man mag nicht gewevhen an den pan
so hat es auch ain solhen lauf.
43 = auf dit richtige Strasse leiten?
44 Lernen ks, 45 das hs.
46 puetunt wol fehler der hs. statt wueten, wiieten.
47 — 74 Die teilweist entstell überlieferten verse sollen die gefahren der see- reisen anschaulich machen. Als ein geringeres misgeschick erscheint es dem autor, wenn man auf eine insel versehlagen (54 fg.) und selbst dort gefangen gehalten aird (56), denn aus der gefangenschaß kann man in drei wochen (diese bestirnte
Uangabe ist auffällig!) durch Waffengewalt (62) oder lösegeld (64) befreit werden. hlimmer aber ist es, wenn man auf dem murr angegriffen wird (64 fgg.: vom stürme? oder von Seeräubern?). Hier kann man nicht auf die (rettende?) bahn entweich i iL 313); d<i.< meer nimi keinen ins gefomgnis (07). empfängt auf], kein lösegeld (68), sondern es tötet ohne pardon. — pressen 47, preissen 57 sind eüeicht verdorben out n = drangsale, gefahren, besonders muh von sturm-
gefahr auf der Seereise, s. mhd. ab. III, 396 ) gets hs. lies guet ze? 51 Frost hs. ~ 2 lies ninier?
54 an fehlt hs. 62 that hs.
gewevhen wol statt mhd. gewichen = entweichen.
JERUSALEMFAHRT DES HERZOGS FRIEDRICH 1436 31
Es nimbt enkhainen zu vancknus auf,
biet ainer all«' weit zu geben,
es Avil nur haben leib und leben. 70 allst > uerstet wer merckhen well,
ob yndert khumbt ain ongeuell
«loch ist paydenthalben guett,
wer Ritterschaft treiben wil oder thuet,
Oder das gelt zeriagen klar. 75 Gott half dem Furstn mit seiner schar
Durch Insel, stet vuud wellische land
dy pey dem mer sind wol erkannd,
durch Ziprizippern das konigreich
Für porttn vund Annder Reich 80 vund kham zu dem gesegentn Lannd, (fol. 11.)
das Jerusalem ist genanndt.
dy hayden das vernamen,
mit eseln sy dar khamen,
dy er da muest Reitten; 85 Also wandert er in ains piligreim weis,
des gib ich im den ernpreys,
vund all dy mit Im zogen dar
der heilligen stet nemen war
der will ich ow zu erkhennen geben 90 das Ir Furpas mugt merckhen pflegen:
Graf erberhart von Kragberg,
Graf pernhart von schaunberg,
nu merckhet dy herrn Recht:
Neyperger herr albrecht 95 vund her jörg von Puechaim,
her hans von neyperg ich auch niain".
Sigmund erberstarffor,
Lewpolt Stubenberg tor.
71 ongevell u-ol = mhd. ungevelle Unfall, misgesehick.
78 Die insel Cypern ist gemeint.
86 in denn hs.
89 ekhenen hs.; ow eine sonst nicht belegte Schreibung des dat. plur. iu = euch. 91 lies Kirchberg. 93 nit hs.
95 Georg von Puchaim aar ehemaliger gesamter des Herzogs Er //st (Neu- mann, Jerusalem fahrten s. 147).
97 Sigmund von Ebersdorf.
98 Ein loch im papier.
32 R. RÖHRICHT
Hanns von Kururing wo] erkhannd 100 Ott 70D Stubenberg genand
paul potendorfer, ein berr guett
hanns von puechaim vol gemuet.
prerthtold Lassenstainer,
her wilhalm pernckeer, 10f) hanns von starhemverg da pey,
von ekartsau lier lutweig,
Virich von polham Tugentleioh,
Wolfart von winden desselben geleidi.
Xu lass ich dy herrn stan 110 vund an Ritter vnd knechtn
Hanns vngenand ir mercket pas,
der des Furstn marschallich was,
Wolfart fuchs hubscher sit
pachart von elbach auch damit 115 Sani reich Silberweiger,
hainrich etzenstoffer
[Ulrich Schaur frisch] vund frey
Jörg Fuchs auch dapey,
Lutwig von Rodenstain, (fol. 15.)
120 Holnecker her antoin
Xiclas von pollentz ir mercket eben
Cristan Tenffenplich darneben.
Veit wolkenstainer,
lewpolt Tuemer, 125 vund der Jörg appholtrer,
103 Berthold von Losenstein. 104 wilhalbm hs.
10G ekart .sam hs,
111 Hans Ungnad von Weissenwolf.
113 Wolfart Fuchs von Fuchsberg nur von 1462 an ho fmar schall Friedrichs. habscher sit (hs. seyt) = ein mann von höfischem anstände. 115 Gwmaret Süberberger. 11G = Ene uistorffer.
117 Du eingeklammerten worte am rande von jüngerer hand ergänzt für i lücke im t<. ,/r. Gemeint ist Ulrich Satirer.
118 Fuchs von b '//'•//.• I» ry.
120 Sonst wird er Andreas von Holenecker genant; vgl. 138.
121 Nicolaus von Pollenex. merckert hs.
122 Tristan von Tbufenpechk {leufenbach, TiefenbacK).
124 Leopold Taumar.
125 Georg Apphalterer.
JERUSALBMFAHRT DIES HKBZOGS FRIEDRICH 1436 33
her Lienhart Harracher,
her Fridrich meiner,
Wernhart Jähenstainer,
Vlrich Flodintzer, 180 Hanns Wolkenstainer,
Jörg Schernem zu diser Frist
Hanns Sawrer auch da gewesen ist,
panngrätz Rintschat chamrer
lier Hainricli Zebinger, 135 wilhalbm von der altn erkhand,
Sigmund windischgretzer genand,
Wilhalbm Reisperger,
her anndre holneck er,
fridrich Lugäster nempt war 140 Jörg stamrietter der Bitterschar
Hanns lampoltinger,
lier liennhart vilsshekker
vnd der petter Leschenprand.
maniger ist mir wol erkandt, 145 wann der red wer va\ vi 11,
der Ich darumb nicht nennen will.
Ir lob Avil ich tachtn (sie/) sagen,
Chainer soll mirs ver übel haben
ob ainer pegind vor dem andern stau. 150 Ich slag ir nit mit wappen an,
Ich hab euchs nur mit nainen genant.
127 Friedrich Tiutncr.
128 Bernhard Tehenstainer (= von Daekenstein).
129 Ulrich Fleh iiiiicxer.
130 Sonst Hans Waldstainer genant.
131 Georg Seharnomel = Tschern&mbl
132 Hans Saurer.
133 Pankraz, Rinkschckad.
134 Haidenreick Cxebinger.
135 Wilhelm von der Alben.
138 Anton Holenecke r: vgl oben vu 120.
140 Georg Steinreuter.
141 Hans LampoUiner. 142 Lienhard VUsecker.
143 Dieser wird sonst nicht genant; dafür fehlt aber unter den reisebeglei- fern Sign/and Kirberger, Hans Qreüeneeher und vor allem der bisehof von Triest Martin (de Cerottis), welche von Friedrieh selbst noch erwähnt sind.
146 nenen hs.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXni. ^
34 R. RÖHRICHT
das Irs hin für erkennt.
Da sv kumeu zu der stat vnd zu dem tempel, den mau hat 155 Grepawt in ern der heilling stat, (fol. 16.)
die mau in da zaigen tet:
vor dem tempel lewt aiu merbelstaim
gemerckhet mit der kreytz zwain.
do vuuser herr Ibesus krist 160 vuuder dem kreytz nider gesigen ist.
Im tempel, wers gemerckert hat.
vnnser Fraweu kappellu stat,
In der kappellu au der fart
das heillig kreitz ist bewart. 165 dapey im eck ist der stein,
da got gegaisselt ist allein.
vor der kappein ain stain stat,
da got Marien Madalenien erschinen hat.
So get man in am kappein hin, 170 do man got iu aineu stoeh slueg in
vund trues: in dv höh an dy vart.
bintz das das kreitz gemacht wart.
dabey am alter der stain sewl ist,
do vunser herr Ihesus krist 175 wart gepuuden An,
Do man hin drucket im dy kran.
Dabev nabent ain alter ist,
dy Ritter an diser frist
vmb das gewand gotts 180 spiltn triben Irn spot,
so get mau iu allen kapelleu
dye das chreytz tet vindt meltun (sie!)
vund an ain stiegen ab,
so das kreytz verporgen lag, 185 dapey ist dy stat.
• wird nur ein hrev/k erwähnt (Tobler, Golgatha 31 fg.). erschin hat hs. Nahe läge es die beiden verse so zu rekonstruieren:
vor df.-r kappein stat ein stein, da got Marien Magdalenen erschein. 171 vater hs. L73 Tobler, Golgatha 341 fg.
Zur sache sieht Tobler, Golgatha 302.
JERUSALKMFAHRT DES HERZOGS FRIKDRICII 1436 35
da man got gekreitzigft] hat,
und Maria under Irm kind
vuiul sannd Johannes gestannden sind
da ist ain kapein, das glawbt, 190 da man hat Funnden adams haubt
vund ain merbelstein,
da nicodemus ich Joseph niain
Got von dem Kraitz namen ab
vund Mariam auf Ir schos gab 195 Dabey nahend ist das hälig grab (fol. 17.)
verporgen in dy ert hin ab
darauf man den Forstn werd
zu Rider slueg mit dem swert
wind graffen, herren, Ritter Freyen 200 wer golt wolt tragen, muehet Ritter sein
da wart In das swertes segen
nach kristenleicher Ordnung geben,
damit man lewt vnd waisen
schol beschirmen in den Fraissen. 205 pey dem heilling grab ist dy stat,
da got seinen jungern gezaiget hat,
es sey mittn in der weit.
das ist alles im tempel zeit.
So begind man Auf dem Ollperg gen 210 durch dy stat Jerusalem
da das Pilata (sie) haws stat
und dy schorn, da man in hat
* 7
188 ist statt sind hs. 190 Tobler 294 fg. mein statt man hs.
194 Tobler 344 fg.
198 Albreckt r. Neiperg schlug ihn daxu (Chmel. 279).
204 ..welcher ritter wirt zu Jerusalem auf dem heil, grab, der mues ßberen dreu stuk: das erst widib und waissen ze peschirmen, das ander recht gericht zu fuern dem arm als dem reichen, das dritt, wan man das hailig grab mit gewalt aus den henden der haiden vnd der vngleubigen gebinen vnd nemen wold, so sol ein ieder, der da ritter wird, daselbs hin komen vnd darzu mit allem sinem vermögen helfen vngefehrlichti (Diarium 584). Vgl. auch, meim Deutsch',, pilgerreisen 32 fg., wo alle nötigen materialien für die geschickte des heil, grobes - ordern nachgewie- sen sind.
207 über diesen „Weltmittelpunkt" vgl. Tobler, Golgatha 326—29.
211 Tobler. Topographie Jerusalems I, 220 fgg.
212 schorn = geriehtsbank, gericht (mhd. sehranne: Mhd. üb. 14'. 203h; SchmeUer, bayr. üb. U\ 604).
3*
36 R. RÖHRICHT
ereurtailt vunsern heim Jhesus Kiist, dapey Simains haws ist
215 das aussinerki^en solt ir versten
darin sannd Mari magdalen
all ir sund wurden vergeben.
Joaehiu hausfraw annen darneben,
da vunser firaw ist geborn 220 vuns zu ainen niauttern ausserkhorn
da ist. der weyer probatica piscin
da der pettris mensch gesund wart in,
vunser Frawen schul pey diser stat,
vund da er got entgegent hat 225 da er das Kreitz trueg auf dem Rucke sein
vmb vunser schult vund pein.
den pach Zedron vber man get,
da Josephat das tal stet,
vunser Frawen Kappeln zu diser Frist 230 vund da sy begraben ist,
auf den Ölperg man sy fuern tet,
da zaigt man vil der heilling stet
do er pluedig schwais geswitzet hat
vund er seinen vatter pat, 235 ob er der martter übrig mocht sein
umb vunser schuld vund pein.
Dye heilligen stet lass ich stan, (fol. 18.)
der edl Fürst zog her dan
von dem perg vund stat Jerusalem 240 da got ist geborn gein Bethlehem
vunder wogenn ist das grab rachel,
Sannd Josep prun ir mercket snel
da dy heilling könig drey
Euehten Rastn slieffen pey;
217 all ir sind vergeben wurden hs.; vgl. 32. Über die sacke siehe Tobler, Topographie Jerusalems I. 439.
218 fg. die heutige St. Afmakirche; vgl. Tobler 1, 429 fgg. armen hs.
221 pisan hs. : probatica piscina = schafteich. Erang. Joh. 5, 2 fgg.
222 pettris = ahd. bettiriso, /////'/. bettirise, paralyticus. 229 Frust hs.
239 Jemsalen hs. 240 wet lehen hs.
1 Das Grob Rakete, Genes. 35, 19; hs. voeliel. 243 drey konig hs.; vgl 32. 217. — Siehe Tobler, Topographie II. 530 fgg.
JERUSALEMFAHRT DES HERZOGS FRIEDRICH 1436 37
245 zu Betlehem, im tempin stat
dy kripen, da got in hat
gelegen in der khinthait frey,
da ist ain alter oben pey,
da selbst got beschniden was; l'50 dy mainung Jeremias
vund dy Grab sein ....
vund dy wanung der kinder,
dy herodes getötet hat,
da selbst auch ain kirchen stat 255 da selbs ain hol ist,
da vunser Fraw zu diser Frist
Mit Irin kind verporgen
ist darin gewessen mit sorgen
von herodes wegen an diser stat, 2(30 der dv kinder totten tot.
Neben aus in ainem talle stat
ain kappein, da der engl hat
den hertern gechundet, das
got selber geborn was. 265 der edln Fürst in hochen ern
beschawt dy stet, begunnd khern
gein Jervsalen in dy stat,
darnach hueb er sich vil drat
zu Kaissen zu dem Jordan, 270 da ist getaufft von dem Johan,
und gein bethania auf der fart,
da lazarus erkuchet wart.
Der heilligen stat wil ich getagen,
es ist zu lannckh dauon zu sagen. 275 vierundfunfzig hab ich gelesen,
245 wetlehem hs. tepln hs.
247 Tobler, Bethlehem 159 fgg.
250 lies wanung, wie 252.
251 Tobler s. 92 — 95. Hier ist eine lücke.
253 Tobler, Bethleheyn ISO fgg. 254 krioheu hs.
260 Tobler, Bethlehem 230. 264 Ebenda 253.
268 drot hs.; = mhd. dräte, schnell, hurtig.
270 Nach da fehlt got oder er.
272 larzarus hs. erkuchet = mhd. erquicket, neubelebt.
273 getagen =: mhd. gedagen, schweigen.
38 B« KÖHKICHT
wers beschawt hat, da ist gewesen.
newnundzwaintzig hab ich gezelt
vund besunnder auf der weit
von yeder stat besonnder, wan 280 ist schuld vund pein hin gethan,
funfundzwaintzig mereket bas,
von yeder Sibben jar ablas
vund Sibben Korret. dy dar sind geben
von der pabst gewalt im segen. 285 So woU dye Riderschaft geborn (fol. 19.)
dy den antlas haben eruaren,
vund da got dy martter gelittn hat
umb vunser schuld vund rnissitat;
nu wo ist beser Rider schaft, 290 den got in der mensehait graft
Syeh vernewet hat nider taugen
vund vns hat pracht zu Rechtem glauben;
dy alte ee setz hin dan!
Der edl fürst wolt daruon 295 vund emphalh sich an der selben stat
In der pruederschaft der munich pet
mit seinem oppher, das er gab
Got zu lob dem heilligen grab.
vund wolt wider zu dem mer. 300 Dye hayden heften das vernomen:
zu den Fnrsten sv kamen
vund belaitten In nach Irm synn
Als man dy seurner über den seinering
280 Der autor m< int die oben .v. 20 erwähnten pilgerführer.
283 korref wol verdorben aus quarenen = quadragenae , d. h. die vierxig- tägigen fasten mit dblai 295 den hs.
297 Für die beherbergung im Zionskloster machten die pilger nach ihrem Franziskanern geldgeschenke.
300 fgg. Die j>H<j< r wurden bei ihrer landung in -Jaffa von muslimischen emiren empfangen, gezählt und unter ,i<mli<-h starker eskorte gegen Zahlung einer bestirnten geldsumme muh Jerusalem gebracht, ebenso x/urück nach Jaffa. Diese gelegenheit ward r<,a ihm,/ regelmässig vu allerlei erpressungen und rohen spässen, ja sogar zu gewolttätigkeiten bemixt, besonders wenn sie unter ihn pilgern einen fürsten oder reichen herrn vermuteten oder durch verräterei der mitreisenden erkanten.
303 saimner hs.; Mhd. wb. ff. 2. 474*. Za der folgende n Schilderung ver- gleiche mau Grünbeck, Leb< Schreibung kaiser Friedrichs HI (Tübingen 1721)
JEBUSALEMFAHRT DE8 HERZOGS PHIEDBIGH M 39
Treiben thuet hie zu lannd. 305 Aventewr wart im erkhannd
vund kam zu des meres Baws
mit falschen haiden prauss,
dy da Letz woltn haben,
dy der Fürst muest begaben, 310 wan sy sprachen, sy erkanden mer,
das ainer von Österreich da wer.
Also schift er sv hin dan
auf dy dann des meres pan,
also zogt er offenbar und taugen 315 vunder haiden gelauben.
Das komen im engegen
zwen kokken verwegen.
auf schray der patrian,
Schalt beschaw ain vecler man 320 vund solt sy balt gerechtn,
als man da nu solt vechtn,
da warf man dy panier auf,
in des windes lufftes lauf
sach man zierlich sweben, 325 Trumettn auf nach Furstn leben.
Da pey begunnd der Fürst stan,
dass man sollt greiften vechten an.
des hat Sych der Fürst verbegen,
da kam im potschaft engegen
s. 24: ..alls er mit seinen gefertten etile heilige Stett heimbgesueht hett, ist er (s. 25) mit ettliehen bekhandten Jueden undter die haidnisehen kaufleutte gangen, Perlen wind Edelgestein von Ihnen kaufft, aber der schimpft wert bald :>< einem ernst gerathen und hett könig Friedrichen einen traurigen heimbtwaeg vuegefüget, denn sie waren kaum auf den Esel \ue den Schieffen khumben, das Oesehrey an einon geiciessen Ursachen uns im gantxen Land erhalten, der Christen- Kaiser Kare vorhanden, unnd als ein grosser Zuclauff wierdt von den haiden, mit waffen \ue den Sehieffen ein grosser thail xuesicht. wie die Schieff wegfahren, heisst der Khönig von Lanndt stossen, auftrummeten unnd den Adler fliege// lassen. Alss die haiden das sehen, eilten sie inn grossen grimmen unnd mit mannicherley Sehies- sungen nach. Allss aber der Khönig oberer ist, fahren si< mit Schanden wie- der umb hinder sieh."
310 spachen hs.; mer hs. statt maere = künde.
313 vgl. 65.
314 offen war hs.; taugen = mhd. tougen heimlich. 317 = koggen, grosse schiffe.
40 K. RÖHRICHT
330 viind Frawntschaft verjahen
Vund begunnden Im doch Qach gahen (fol. 20.)
Da schickht got von hiniel, das
der Wint des Purstn tail was
vund schied sew paidentlialben gleich. 335 Also kam der Fürst zum König Reich
vund geiu Zippern nitalstzia in di stat,
darnan in grosse er erpatt,
vund hueb sych wider von dem Land
da schlief der konig alzu hannd, 340 wo er zu laitten wolt,
das man sein wol pflegen solt.
Als weiter Met zu pietten,
daselbs dv weisen Rietten.
Also zog er in Ritters wer 345 gein Yinedig, leit im mer,
der hertzog von Yinedig gen Im
mit den purgern, dy da Herrn sein,
auss der stat woll verpracht
zogen gen dem Fuerstn mit Rechter macht 350 vund belaittn In ein mit grossem praws
In dve stat zu dem haws,
dar inn lag der Fürst Rain.
Sy zaigatten im schätz und Edisgstain,
da> sy bey tag und auch bey nacht 355 vor manigen jarn zu samen haben pracht.
Schanckumb lob er vnd wiertigkeit,
dye wart dem Furstn da erzaigt,
dy zeit damit Frewnd volbringen
in lob der erngedingen, 360 dy da zum hochstn begunnd stan.
Dar hueb sich der Fürst der von
vund kam fuer sein land reich
330 />/. : sie bekanten freundliche gesinnung, und begannen ihm doch nach- teäen.
330 Der name Nicosia ist arg verstümmelt. Hier auf Oypern <„tpfieitf/ Friedrieh wie die meisten dort Inmleiulen rUtrr auch die St. Oeorgsrüterschaß.
340 Es war Francesco Foscari, von dem er am- 16. juni 1436 auch einen icherkeitsbrief erhalten hatte, Ghmel 277.
39 Friedrieh kaufte dort damals für 2799 gülden kostbar keiten, die im diarium ÖT'.J — 580 aufgezählt sind.
JBBUSALEMFAHKt DES HERZOGS FRIEDRICH I- 11
mit grossen freyden yonnsamklich,
dye man im vber all r56f> der zaigen tet mit Lobes schall.
Da offent er das golde klar
mit der seiner Ritter Bchar
hemel, perl, edlgstairj
zu trafen mit il^v Frawen Kain .'!7i> vund den keuschen junckfrawen in ern,
das pracht vuns der Fürst Herrn
von Orient hab ich erfaren.
Das erst ist zu Ritter warn .... (fol. 21.)
das klare liecht der Stein erschain 375 vund auf dem grab des herra krist
der got aller götter ist
vund sein wunder da hat volbraeht,
alls er im dann het erdacht
hm disem wessen der ewigkhait.
368 hemel wol verderbt oder verlesen ans korel oder korall. Diese beiden Schreibungen des Wortes finden sich bei Verdeutschung des lateinischen corallus in einem wbrterbuche der fürstl. bibliotkek \u Donaueschingen vom jähre 1421, vgl. Diefenbach, novum glossarium lat.-germ. s.113. Korallen gab es neben perlen und edelsteinen schon damals namentlich in Venedig (vgl. v. 353. 359) vielfach x/u kaufen.
373 Xach diesem verse eine Jucke.
BERLIN. R. RÖHRICHT.
ÜBEE EINE CONJECTUB IN DEE NEUEN LUTHEK-
AUSGABE.
In Luthers deutscher auslegung des 67. (68.) psalmes, zuerst erschienen Wittenberg 1521, steht der satz (bd. VI 11, s. 14, z. 11 fgg. der neuen Weimarer ausgäbe von Luthers werken):
Die hebreisch sprach hat ein art} das sie eyn haußmutter oder ehlich weyb nennet ein haußtxihr, dan wo weyb and Lind thett, were viUeieht wider hauß , dorff noch stete auff erden. Der gespert gedruckte satz steht so in den beiden ältesten aus- gaben A B, ebenso — nur mit der Variante thet — in CDE; die Er- langer ausgäbe hat, offenbar aus conjeetur, für thät eingesezt: nicht thät. Der herausgeber dieses bandes, herr pro f. Kawerau in Kiel, nahm anstoss an den für uns in der tat unverständlichen worten und sezte nach einer nur wenige buchstaben ändernden conjeetur in den text: ico weyb and länd feilet.
42 ERDMANN
Die»1 wort'' geben ohne frage den der stelle entsprechenden und von Luther beabsichtigten sinn richtig wider; ich muss aber dennoch bezweifeln, dass die änderung des von allen alten ausgaben übereinstim- mend gebotenen textes aotwendig war. Herr prof. Kawerau ist, wie er mir freundlichst mitteilte, wegen der in den texl gesezten conjeetur selbst später bedenklich geworden, weil ihm in der gleichzeitigen litte- ratur noch zwei sehr ähnliche anwendungen derselben verbalform thet in einem bedingungssatze aufgestoßen ist. Es steht nämlich in Luthers auslegung von L. Kor. 7 (1523) B 4b ganz ähnlich: ia wen die vnkeu- scheyi thete; ferner bei Petrus Schultz,, Ein büchleyn auff frag vnd
itwort, gedruckt L5271, auf blatt A';: ich erlange hülffe .... durch den glauben wenn der glaube thet rrmste ich vorlore/t werden.
Ich erlaube, dass dieser satz ebenso wie die Lutherschen in verbin- düng zu bringen ist mit den im mhd. häufigen conjunetivischen bedin- gungssätzen mit einfacher negation ne oder en- vor dem verbnm (s. meine Grrundzüge der deutschen syntax § 188); und die reichhaltige, noch nicht genügend bekante und ausgenutzte samlung von Dittmar im ergänzungsbande dieser Zeitschrift (1874) s. 228 bietet gerade auch zw. i Beispiele, in denen in solchen sätzen das verbum tuon im conj. prät in einer jenen beiden stellen genau entsprechenden bedeutnng
ht, nämlich = hilfe tun, hilfreich wirksam oder vorhanden sein, was mit hinzugefügter negation in die bedeutnng übergeht: überhaupt nicht vorhanden oder nicht da sein. Die beiden schon von Dittmar
geführten -teilen sind: Gedicht vom priester Johann (Altd. bl. I, 320) v. 470 fg. des er lichte wurde irre so, entete daz selbe gestirne dö (= wenn das erwähntt gestirn nicht wirksam — d. h. leuchtend, sei- ner natur entsprechend da wäre). Livländ. chronik (ed. L. Meyer, Paderborn 1876) 7072 cnt,t< got mit siner craft (= wenn gott mit er kraft nicht da wäre), si en mochten niht beltben. Die gleich- artige! t beider -teilen mit den beiden oben angeführten ist einleuch-
ncL Nun bildete sich, wie algemein bekant und auch in meiner Syntax
151. 152 mit beispielen belegt ist, schon im mhd. die neigung aus, in solchen sätzen das schwachbetonte en- vor dem verbnm zn unter- drück- Meist wurden dii ätze dann durch das zugesezte danne, nhd. denn charakterisiert; aber auch ohne dieses kommen sie schon mhd. vor, oft mit schwanken der handschriften zwischen geseztem und feh- lendem en-, wie z. b. Nil». 14. 4. 906,4. Freidank 4, 17. Man muss mm wol annehmen, da— ein solches taete in der bedeutung von entaete,
1 1 Ein neudrack dieser kleinen katechetischen Schrift erscheint demnächst in Braunes samlung.
EINE OONJECTÜB DBB NEUEN LUTHEBAUSGABE l.i
d. h. nicht täte, an welches sich das Sprachgefühl in conjunctionslosen bedingungssätzen gewöhnt hatte, auch in bedingungssätze mit wenn oder wo gelegentlich eindringen konte; und gerade die formelhaftem gebrauch«' sich nähernden und isoliert dastehenden Verwendungen i\<>* conj. prät. von tun in der oben angeführten bedeutung scheinen dazu besonders geeignet gewesen zu sein. Die vorauszusetzenden stufen des Überganges aus dem in jenen beiden mhd. stellen bezeugten sprach- gebrauche zu dem in der Lutherstelle von L521 vorliegenden wären also etwa:
1. mtaete wip unde lernt.
2. (ex) taete (danne) wip unt Mint.
'). wo (so, wenn) weyb und bind thät. Vielleicht lassen sich sowol für diese bedeutung von tuon als auch für diesen gebrauch des conj. prät. ohne hinzugesezte oegation in bedingenden nebensätzen noch weitere beispiele aus der Übergangszeit vom mhd. ins nhd. auffinden. Beide fragen seien den Kennern der lit- teratur jener zeit zur beachtung empfohlen.
KIEL. OSKAK ERDMANN.
GEESTENBEEGS BEIEFE AN NICOLAI NEBST EINEK
ANTWOET NICOLAIS.
Im folgenden werden sechs briefe Gerstenbergs an Nicolai und die einzige mir lugängliche antwort Nicolais tum ersten >>mh ver- öffentlicht1. Sie werfen auf die Schlestoigschen litteraturbriefe um min neue lichter.
Max Koch hat in seiner Monographie über Sturz s. 95 nicht ohne Seitenblick auf die Herderforsch ung den satx hingestelt: „deshalb tritt ich auch gerade an dieser stelh das Zeugnis ablegen } wie wenig stilistische gründe als entscheidende beweise — für autorfragen näm- lich — angesehen werden können" Er glaubte dürr// mehrere, nicht gerade unbedingt zwingende parallelen des stiles auf einen anteil Stur- xens an den Schleswigsehen litteraturbriefen schliessen tu dürfen, honte dann aber dagegen das teugnis von Gerstenbergs nachlass an-
1) Die originale befinden sieh in Nicolais nachlass, welchen kürzlich du königliche Bibliothek in Berlin erwarb. Ich nahm die abschrift, als sie noch im besitze der fa/milie Parthey waren, und danke der frau Veronica Parthey für die erlaubnis der benutzung. Nr. 6 wurde mir im jähre Js77 aus der autographen- samlnng des herrn postdirektors a. d. von Scholl in Stuttgart durch die gute des verstorbenen oberbibliothekars C. Hahn in München zugänglich gemacht; der imye- nante adressat ist von mir wol richtig erraten.
44 WERNER
führen, wonach Stur% keinen unmittelbaren anteü an ihnen hatte. Die philologische methode, so muss man nach seiner darstettung nun überzeugt sein, kann auf falsche wege fähren, gibt trügliche beweise. Unsere briefi zeigen aber, dass Kochs Untersuchungen die glänzendste bestätigung der historisch -philologischen methode sind, denn es ergibt sich, dass Gerstenberg in den briefen absichtlich den stil verschiedener autoren nachgeahmt habe. Wenn Koch also Sturzens stil hat ent- decken wollen, so ist dies allerdings richtig; nur haben wir Gersten- bergs nachahmung von Sturzens stil vor uns. Schon um dieses umstands willen verdienten di< folgenden briefe veröffentlicht zu wer- den. Überdies enthalten sie so viel des interessanten und litterarisch wichtigen, dass geradi j< \t ihre mittcilnng ratsam erschien.
Hauptsächlich Khpstock und die musik, ferner noch der stil wird in den briefen hehandelt, welche ihrer eigenartigen halb humoristi- schen, halb groben form wegen gawx und unverkürzt abgedruckt wer- den1. Anmerkungen habe ich nur hinzugefügt, wo es unerlässlich schien. Beim lezten /'riefe wurde nur das eine citat aus Ciceros brie- fi. n an Atticus vollständig gegeben, bei den anderen genügte ivol die andi utung.
LE3IBERO, AM 19. JAN. 1889. R. M. WERNER.
1 1 Nur in der kopie des Nicolaisehen b rief es liabe ich die unzweifelhaften fehler des abschreibers verbessert.
Nr. 1. Crerstenberg au Nicolai.
Liebster und geehrtester Freund,
Wofern mein außerordentliches Stillschweigen mich noch der Vorrechte Ihrer Freundschaft nicht beraubt hat, so laßen Sie mich Sie itzt so nennen: wirklich kann ich mir diese Freundschaft kaum jemals ehr als ein angenehmes Geschenk gewünscht haben, als ich sie nun für einen unentbehrlichen Besitz ansehe, da ich Ihrer großmüthigsten V; rieht bedarf. Wie weit ich diesen Begriff der Freundschaft und Nachsicht ausdehne, werden Sie aus der Versicherung beurtheilen, daß ich mir mein Versäumniß selbst nicht verzeihen kann.
Da ich durch tägliche Veränderungen, von denen sich unser armes Land noch lange nicht erholn wird, und die auch, wie Sie, mein liebster Freund, sich vorstellen könnten, wenn Sie meine Ver- hältnis, mir dem General v. Gähler1 kennten, mittelbar, mich betrafen,
1) Gemeint ist Peter Elias von Gähler, welcher am 29. Januar 1766 zugleich mit dem grafei 3t Germain aus dem generalkriegsdirektorium entlassen und zum
vicekommandanten in Glückstadt besteh wurde. Vgl. Jens Kragh Host, Struensee und
BRIEFE GERSTENBERGS AN NICOLAI 45
außer Stand gesetzt wind, mein Versprechen zu halten, fing ich zuletzt au, da ich bemerkte, wie spät ich mich desselben erinnerte, mich zu schämen, daß ich genöthigt seyn sollte, Entschuldigungen zu machen. Ich entschloß mich daher, gleich so vielen andern Sündern, nicht eher Abbitte zu thun, als bis ich mich durch irgend ein gutes Wert der Verzeihung fähig machen könnte.
Diel'» Zaudern zoff mir ein zweytes tJbel zu. Ich ward zweifei- hat't, ob ich an einem Journale Antheil nehmen dürfte, in dem eini| meiner geliebtesten und rahmwürdigsten Freunde so sehr zu ihrem Nachtheile zur Schau gestellt werden; ich fürchtete, die allgem. Bibl. möchte mir vielleicht, in dieser Absicht ein wenig ausfallen, da ich schon vorher einen Grund gehabt hatte, nicht völlig damit zufrieden zu seyn, nämlich wreil der, dessen Bescheidenheit ich nicht beleidigen will, nicht der einzige Verfasser davon war. Ich ward also auch oach- läßisr und konnte nicht mehr durch meinen guten Willen noch durch äußre Hindernisse gerechtfertigt werden.
Hiezu, denn selten pflegt Ein Unglück allein zu kommen, kam der Umstand, daß ich mich unbehutsamer Weise in ein hiesiges Jour- nal verwickelte, das Ihnen vielleicht unter dem Titel: Briefe über Merkwürdigkeiten der Litteratur, zu Gesichte gekommen ist, und an welchen ich nur einen entfernten Antheil zu nehmen dachte, da ich itzt beynah verzweifeln muß etwas andres, als der Haupt-Yerfaßer des- selben zu bleiben, wenn ich ihm nicht etwa ein geschwindes Ende mache, oder die allg. Bibl. selbst diese Mühe über sich nimt.
Was soll ich hinzusetzen, mein Freund? Ich erröthe, daß ich mein Versprechen zurück nehmen muß: nicht sowohl, weil ich glaubte (eine Eitelkeit, die Sie mir nicht zutrauen werden,) daß der Bibl. irgend ein Nachtheil daraus zu wachsen könnte, als vielmehr, weil es ein unverzeihlicher Leichtsinn ist, sich einer Arbeit unterziehen zu wollen, die man in der Folge nicht leisten kann. Ich erwarte Ihre Antwort mit Schmerzen; und doch weis ich kaum, ob ich sie erwarten darf. wenn sie das enthalten sollte, was ich verdient zu haben, nicht laug- nen kann.
Auch für das Geschenk des ersten Bandes der A. B. bin ich Ihnen meinen Dank noch schuldig, so auch für die Ino Ihres vortreff-
sein ministerram (Kopenhagen 1826) bd. I, s. 65 fg. Im jähre 1770 wurde er zum mitglied der geheime - konferenzkommission ernant, deren Sekretär Gerstenberg wurde (ebenda I, s. 308). Er starb 1773 (ebenda II. s. 408). Dem konferenzrat Gabler in Altona hat Gerstenberg seine Vermischten Schriften (Altona 1815) gewidmet.
46 WERNES
liehen Freundes1. Aber ich darf mir nun nicht schmeicheln, daß Sie
meine Dankbarkeit noch einmal auf die Probe stellen werden.
Wenn es möglich ist, liebster Freund, so lieben Sie mich mit
meinen Fehlem; Sie können mich doch nie so sehr lieben, als ich Sie
ehre und hochschätze:
Ihr ganz eigner und verbundenster
Kopenhagen Aug. 2. 176(3. (Jorstenberg.
Dieser Brief ist par Couvert nach Schleswig gegangen. Der Ver- leger des erwähnten Journals wird Ihnen ein Exemplar übersenden2.
Nr. 2. Grerstenberg an Nicolai.
Kopenhagen, 31. Jan. 1767. In allem Ernste, mein liebster Nicolai, ich halte Ihr Schreiben für ein sehr freundschaftliches, und dringe darauf, daß Sie fortfahren, in dem Tone mit mir zu correspondiren. Wenn der Briefwechsel zwi- schen zween Pia /'/idealers3, wie Sie und ich sind, sich lange erhalten kann. >" wird er eine der intereßantesten Privat- Correspondenzen seyn. die ich mir denken kann.
Die guten Köpfe, deren Urtheil von den Briefen über Merkwür- digkeiten der Litteratur Sie gehört haben, erklären mit Ihnen meine Sehreibart für allzugesucht und allzuköstlich
You all have sense enough to find it out. Sie haben Alle Recht. Denn ob ich mir gleich nicht bewußt bin, viel nach diesen Kostbarkeiten gesucht zu haben, so sieht es doch natür- lich so aus. — Aber nun möchte ich Sie fragen, warum Sie diese Schreibart mein nennen? Ich dachte, Ihnen konnte es nicht verbor- gen bleiben, daß sie blos mimisch und in einem gewißen Verstände charaktristisch seyn sollte. Wenn ich mir gleich keinen Stil zueigne, den Sie dagegen halten könnten: — wirklich, was ich so barbouillire, i-t immer nichts weiter, als ein Versuch auf Kosten des Publici, künf- zu einem Stil zu gelangen; — so hätten Sie doch aus der Ver- schiedenheit, die schon in der Schreibart der beiden ersten Sammlungen -iehtbar genug ist, ohngefähr errathen können, daß so etwras von mir intendirt sey, und daß und sich in dem folgenden vielleicht deutlicher
1) Ränder, d Ino in Berlin 170", erschien.
_ Nicolai Lemerkt nach seiner gepflogenheit auf dem briefe: 17GG 11. aug. [d. h. erhalten] 17o7 8. jan. bwt [beantwortet]. — Der Verleger war Joachim Wilhelm Hansen, vgl. nr. 3.
Sprich wörtliche 1 »-Zeichnung eines offenen, geraden menschen; zugleich titel eines lust-pk-K von Wycherley. — Das gleich folgende citat ist l>.-i Shakespeare und Pope nicht zu finden gewesen. (Freundliche mitteilung von prof. Sarrazin.)
BRIEFE GERSTENBERGS AN NICOLAI 47
entwickeln werde. Ob ich aber dazu befugt gewesen, mag Ihnen Ihr Schaftesbury und Lncian sagen.
Ich fertige diesen unerheblichsten Punkt vorläufig ab, damit ich desto umständlicher über den wichtigern Theil Ihres Briefes schwatzen
könne.
Sie beschuldigen Elopstock, daß er sieh allmählig mein- zum Abenteuerlichen und zur Schwärmerei Lenke; daß das Publikum über
seine als Mspt gedruckten Sylbeninaiil-ie die Achseln zucke: Sie befürch- ten, wenn gewisse Hymnen, die Sie gesehen haben, wirklich in den letzten Gesang des Meßias kommen sollten1, daß die Kritik sich allent- halben in Deutschland laut hören lassen werde. [ch hingegen beschuldige Sie Herrn Berliner, (denn Sie sind doch vornahmlich das achselzuckende Publicum), daß Sie Partey ergreifen, ehe Sie sich in Stand gesetzt haben, ein vollständiges Urtheil zu fällen; daß Sic Klnp- stocks Einsichten zu wenig, und Ihren eignen zu viel zutrauen; daß Sie, wenn Sie Homer lesen, ganz etwas anderes darinnen zu finden scheinen, als Klopstock, der ihn doch auch kent, darinn findet
Die Schriften meiner Freunde sind mir viel wichtiger, als meine eignen; laßen Sie mich also immer noch ein bischen dabey stehen blei- ben. Ich versichere Sie, daß Klopstock kein Schwärmer, sondern ein sehr munterer und freygesinnter Mann ist, der gerade nur so viel Enthusiasmus für seine Religion hat, als man haben muss, um ein rechtschaffener Christ zu seyn, und als ein jeder haben sollte, der sich wagt, über heilige Gegenstände zu singen. Daß Ihnen an seinen lyri- schen Sylbenmaaßen und an seinem Zwecke, Hymnen nach diesem Sylbenmaaße in den Meßias einzurücken, allerley sonderbar vorkom- men müße, kann ich begreifen: daß Sie sich aber überreden, er habe keinen einzigen vernünftigen Grund dazu, und wisse, mit Einem Wert«-. nicht, was er thue, das befremdet mich sein. Doch so sind Sie Kunst- richter! Ohne Gelegenheit gehabt zu haben, von dem Verfaßer Erläu- terungen einzuziehen, wollen Sie Urtheile fällen: Urtheile über detachirte stücke, deren Yerhältmß mit dem Ideal des Dichters, deren Verbind inf- init dem Ganzen Sie nicht kenneu; Urtheile über Sylbenmaaße, die als Mspt. für Freunde gedruckt sind2, — als ob die Zuversicht, die der Dichter auf die Einsicht dieser Freunde setzt, offenbar zu eitel wäi um Ihrer Stimme entbehren zu können. Glauben Sie denn wirklich,
1) Gemeint ist jedeufals „Fragmente aus dem zwanzigsten gesange des MJ sias", vgl. Muncker, Klopstock s. 485.
2) „Lyrische silbenmasse a 1764 »als manuscript für freunde" geschrieben,
vgl. Muncker a. a. o. 485.
48 WERNER
Klopstocks Project sey nicht schon völlig so sehr auf beiden Seiten debattirt worden, daß er, ganz sich selbst gelaßen, eine Wahl treffen dürfe? Es kann freylieh kommen, wie Sie befürchten: die Kritici (denn von der Kritik wollen wir abstrahiren) können sich allenthalben in Deutschland laut genug hören laßen: allein das haben sie schon oft, und hatten doch wohl zuweilen Unrecht. Verlaßeu Sie sich darauf; s kommen in den folgenden Gesängen des Meßias ganz ungemeine Stellen vor. das Ganze geht nach einem reiflich überdachten, obzwar mit unendlichen Schwierigkeiten verbundenen, Plane fort, die deutsche Inversion, die Energie der Sprache, die Musik der Versification wird gewiß dabey gewinnen, und der Geist der Epopöe, nach allem dem, was Sie von dem Genie des Dichters voraussetzen können, nichts darunter leiden. Dieß ist meine Meynung. Warum sollte ich mich scheuen, sie zu gestehen? Man wird nicht gleich ein Waffenträger, wenn man einen Freund mit Überzeugung rechtfertigt: aber man kann ein Champion werden, wenn man großen Leuten die Spitze bie- thet. ohne Beruf dazu zu haben.
Daß Herr Moses der Verf. der Kritik über die C arschischen '«--dichte sey, wäre mir nicht eingefallen. Nach dem, was Sie mir von dieser Frau schreiben, kann es leicht geschehen, daß man unwillig wird, ihren poetischen Talenten hinlängliche Gerechtigkeit wiederfahren zu laßen. Persönliche Bekanntschaften haben viel Einfluß in unser Unheil, daher pflegt man sich auf den Ausspruch der Nachwelt zu beziehen. Ich. der ich weder durch ihre Eitelkeit, noch durch ihre cynische Aufführung beleidigt worden, glaube, daß sie allerdings Genie ohne Geschmack besitze; und mehr habe ich nicht behauptet.
Herr Moses ist ein Mann, den ich ganz besonders hochschätze. Ich erwarte seinen Phädon mit Sehnsucht. Ich habe oft gewünscht, daß Jemand unser Publicum mit Piatos, Xenophons, und Schaftesburys AVerken (des letzteren Essay ou Virtue and Rhapsody) bekannter machen möchte, um es, so viel nöthig ist, von unsrer Schulphilosophie zu zer- streuen. "Wer kann dieß besser, als er?
Was ich Festigkeit des Stils nenne, fand ich nicht sowohl in Abbts Buche vom Verdienst, als in verschiedenen hieher gehörigen Litteraturbriefen. Ihre Nachrichten von Abbts Leben werden mir ein recht angenehmes Geschenk seyn.
Ich pflichte Ihnen vollkommen bey, daß Leßing in seiner Prose einzig ist: aber nicht in Absicht auf die Festigkeit des Stils, und so, wie Sie es nehmen, nur im Laokoon. Seine Schreibart war ehemals jugendlich, zu französisch, zu uncorrect. Der Mann Leßing, der Ver-
BRIEFE GERSTENBEBGS AN" NICOLAI 49
faßer des Laokoon, ist ein unvergleichlicher Scribent. Doch wird Win- kelmann immer seine Vorzüge behalten, gesetzt auch, seine spätere]] Schriften verlöhren etwas an innerer Stärke. Die besten Köpfe haben ihre Epochen.
Xichts könnte mir erwünschter seyn, als die neue Ausgabe Ihrer Briefe über den Zustand der seh. W., die gewiß große Verdienste um den guten Geschmack haben. Ich nehme von ihnen den ersten Zeit- punkt der freyredigen heutigen Critik an; und wenn es Ihnen, wie ich nicht zweifle, gelingt, sich auch noch in der Schreibart mehr Genüge zu thun, so haben Sie unstreitig das Werk vollendet, das auf die Nach- welt kommen wird.
Darf ich fragen, wer der Verfasser des Orakels ist?
Wofern Ihnen mit kurzen Anzeigen von hiesigen Neuigkeiten für Ihre Bibliothek gedient ist, so will ich Ihnen herzlich gern dergleichen schicken. Sie laufen ohnedies mehr in Ihren Plan, als in den meini- gen, ein, der nicht sowohl Neuigkeiten, als Betrachtungen über alte oder bereits bekannte Werke enthalten sollte, wo ich ohngefähr wünschte, daß sie dem Geschmack des deutschen Publici eine andre Wendung geben möchten. Wir sind nichts weniger als Rivale.
Erfreuen Sie mich bald wieder mit einem so freundschaftlichen Briefe als Ihr letzter ist.
Ich bin mit alle der wahren Hochachtung, die ich Ihrem Ver- dienste schuldig bin, Ihr ergebenster Diener
Gerstenberg 1.
Nr. 3. Nicolai an Grerstenberg 2.
Berlin d. 21*|B Martii 1767. Herrn Gerstenberg in Copenhagen. Einen Correspondenten , der eine so dreiste Incantade so freund- schaftlich aufnimmt, kann ich ohnmöglich Hochwohlgebohrner insonders Hochzuehrender Herr anreden, und Freund solte ich Sie doch auch nicht nennen, denn ob wir gleich wie Sie bemerken nicht Rivalen sind, so können wir doch auch nicht Freunde seyn, weil unsere Cor- respondenz das Ansehn gewinnt, als ob wir uns tapfer zanken würden, Sie werden freilich in diesem Stücke bey weitem der stärkere Theil seyn. Sie streiten auf Ihrem eigenen Grund und Boden wie der König von Preußen bey Leuthen auf seinem gewöhnlichen Manoevre Platz. —
1) Nicolai bemerkt: 1767. 16. Febr. [erhalten] 21. Mart bwt [beantwortet]. NB soll mir Addresse angeben, wie ihm zwischen der Meße die Bibl. zu senden.
2) Nicolai: 1767. 21. Mart. Copia eines Briefes an HE. y. Gerstenberg.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXIII. 4
50 WERNER
Ich hingegen bin seit einiger Zeit in der Gelehrsamkeit ein Fremdling worden, und von vielen Beschäftigungen zerstreuet, lese ich wenig und gerade das am wenigsten, was ich am liebsten lesen solte und wolle. Ich habe niemals geglaubt, daß KL ohne alle Ursache sich entschlos- sen Hymnen in den Messias zu setzen, es ist nur die Frage, ob diese Ursachen überwiegend sind, doch dies ist das wenigste. Das schlimmste ist. daß in den Hymnen selbst so viel Fanaticismus herrseht, daß ich aufrichtig gestehen muß. daß ich zuweilen würklich Widerwillen beym Lesen empfunden habe, ich weiß sehr wohl, daß HE. Kl. im gemei- nen Leben der Sehwärmer nicht ist, der er in seinen Gedichten ist. Aber was bringt ihn dazu solche innerliche Aufwallungen zu dichten? Hat ihn Homer dazu gebracht, so muß er Ihn freylich mit gantz andern Gedanken gelesen haben, als viele Leute von Geschmack, die ich kenne, wären die innern Seufzer, die Aufwallung einer durch in- nerliches Licht erhitzten Einbildungskraft, wären rafinierte Theorien von Tugend und Religion der Menschlichen Natur am End angemes- sener, als der Zorn des Achilles, und die Honig süße Worte Nestors, so könnte Klopstock seiner dichterischen Talente wregen vielleicht in einige Yergleichung kommen, aber so —
Ich rede eigentlich auch nicht vom Messias, sondern von den Trauerspielen, und den Hymnen, Ich muß von den erstem gestehen, daß es mir unmöglich ist, sie mehr als einmahl durchzulesen, dieses Urtheil getraue ich mich auch öffentlich zu gestehen, und glaubte viel Leute von Einsicht zu finden, die mir Beyfall gäben, aber mein übri- ges Urtheil von dem für Freunde gedruckten MSt. ist auch nur für Freunde, und ich will es gern zurücknehmen, wenn die neuen Ge- länge des Messias herauskommen und ich aus dem Zusammenhange sehe, daß ich die gantze Absicht des Dichters vorher nicht einge- sehen habe.
Ich und meine Freunde ergreifen sicherlich nie Parthey, bis wir von allen Umständen zu urtheilen im stände sind; die beyden Trauer- spiele zeigen genung wohin Kl. Hang gehet; Es kann seyn, daß Kl. weit mehr empfindet als seine Leser merken können, aber ich bleibe immer dahey, daß solche raffinirte Empfindungen, kein bequemer Ge- genstand der Poesie sind, doch genung von dieser Materie worüber wir wohl nicht eins werden mögen. —
Das Achselzuckende Publikum dürfte schwerlich in Berlin seyn; ja vielleicht in Berlin am wenigsten, (denn Lessing Moses und Ni- colai machen nicht gantz Berlin aus und gantz Berlin denkt nicht so wie sie) aber da ich wegen der deutschen Bibl. jetzt die weitläufigste
BRIEFE GERSTE.VBERGS AN NICOLAI 51
Correspondenz in allen Provinzen und mit Gelehrten von vielerley Gattungen habe, so weiß ich ziemlich zuverläßig, was man auch in andern Provinzen denkt, ich will gewiß wetten, daß unter allen leben- den Dichtern mediocris notae vier fünftl meiner Meinung wegen der
Trauerspiele seyn werden. Ich rechne noch gewisse Politische Leute ab, die auf beyden Achseln tragen, und allemahl der Meinung des- jenigen sind an den sie schreiben, oder mit dem Sie reden. — Doch nochmals genug hievon.
Ihr Versuch auf Kosten des Publica zu einem Styl zu gelangen ist in der That sehr mißlich, wenn Sic natürlicher Weise noch auf eine so gekünstelte Art denken so wird der Styl so gezwungen werden als die Gedanken gezwungen sind. Aus der Verschiedenheit der Schreib- art hat man geschlossen, daß verschiedene Leute an Ihrem Journale arbeiteten; nicht daß Sie selbst so vielerley Gestalten annehmen wolten: Ich halte es überhaupt für sehr mißlich und für den gantz unrechten AVesr, wenn man sich mit ausdrücklicher Absicht hinsetzt, um sich einen Styl zu bilden, mich dünkt ein jeder denkt so, wie es die Mischung der Geisteskräfte eines jeden mit sich bringt, aber er denke reiflich und bemühe sich immer vollkommener, reifer, edler, klärer zu denken. Nur lasse er den Styl laufen, wie er will, er wird sicherlich das natürliche Ebenbild seiner Gedanken seyn; das Gegentheil war zuweilen Abbts Fehler. Ich wäre sehr begierig zu wissen, welche Briefe der Litteratur Sie für Muster eines festen Styls halten. Ich habe jetzt über Abbts Schreibart bey Gelegenheit seines Lebens in etwas nachgedacht, und wenn die Zeit, die ich an dieses Leben wenden kann nicht so kurtz wäre, so würde ich einige Gedanken darüber auskra- men1— Sie werden mich sehr verbinden wenn Sie mir mit einer der ersten Posten auch diesen Punkt beantworten wollen.
Die Persönliche Aufführung der Karschin kann in so fern einen Einfluß gehabt haben, daß man das Urtheil etwas lauter gesagt hat. aber das Urtheil ist meiner Bekümmerniß [sie] in aller Strenge richtig. Ich merke wohl, auch über diesen Punkt werden wir auch nicht einig weil wir in den Prindpiis allzu sehr differiren. Sie sagen die Kar- schin hat Genie ohne Geschmack, das würde ich sagen wie beym Shakespear ein ungemeines Feuer; die Art einen Plan original zu imaginiren, und nach eigener Art auszuführen, große, starke, aber rauhe Züge, und hingegen einen gäntzlichen Mangel der Kleinen Zärt- lichkeiten der Poetischen Sprache, des Anständigen, des Neuen und dergl. fände. Aber bloß diese kleine Zierlichkeiten sind das Haupt-
1) Tgl. Nicolais Ehreugedächtiiiß Herrn Thomas Abbt s. 20 fg.
4*
52 WERNER
verdienst der Frau Karscliiii, wohl klingende Sylbenmaaße, so neue Beywörter, eine gewisse Art von Nuancen, und gewisse Art von Wendungen, die noch zuweilen nicht ihr eigen, sondern Ramlern und andern Dichtern abgeborgt sind. Kurte alles was die Poetische Sprache betrifft ist gut. Aber wo ist die Originalwendung die ein Genie ohne Geschmack allemahl haben wird ; wo ist ein einziger Plan gut. geschweige original ausgeführt, wo sind große starke und zugleich rauh«' Züge? 0 vide Sign.:
Moses, Abbt und ich hatten einmal den Vorsatz den Gantzen Shafftesbury zu übersetzen, und einige Stücke mit Abhandlungen zu erläutern, wir haben auch schon alle drey angefangen1. HE. Moses hat deD Moralist meist fertig, aber es kann noch lange währen ehe etwas gedruckt wird.
Der Verfasser des Orakels ist Herr Moses, der dies auch in der Vor- rede zu seinem Phädon, der nun meist abgedruckt ist, öffentlich sagt. Ich werde Ihnen ein Exemplar des Phadons zusenden und Ihr Urtheil erwarten. Die Simplicität der Schreibart verdient glaube ich viel Bevfall *.
m
Haben wir denn Hoffnung den Rest des Messias bald zu erhal- ten: Ich warte darauf nebst meinen Freunden mit der äußersten Unge- duld, dasjenige was ich wider Kl. gesagt habe, hindert nicht, daß ich für Ihn und seine Schriften die äußerste Hochachtung [habe fehlt], je freyer ich jetzt mit meinem Urtheil vor meinem Freunde gewesen, desto behutsamer würde ich seyn , wenn das gantze Werk herausgekom- men, und ich mein Urtheil sagen solte.
Lessing gibt seine Lustspiele auf Ostern heraus, es ist ein Neues darinnen Minna von Barn heim, oder das Soldaten Glück betitelt, Sie sehen, daß L. die Armee nicht umsonst gesehen hat.
Vor einiger Zeit starb allhier der Kammergerichtsrath Uhden mein Freund und der zur Music ein gantz besonderes Genie hatte, wenn dieser Mann der Music seine gantze Zeit hätte weihen können, so würde er nach dem Urtheil aller hiesigen Musiker einer der größe- ren Meister geworden seyn. Er hat ungemein viel Sachen componirt worunter verschiedene sehr schön sind. Unter andern hat er schon vor mehreren Jahren aus Ihren Tändeleyen die Cloe in Musik gesetzt. Er hat dies Stück nachher immer verändern wollen, weil ihm verschie- denes daran nicht gefiel, weil aber sein Amt sehr mühsam war, und
1) Ehrengedächtniß Herrn Thomas Abbt s. 16.
2i Am rande steht: „Zu den Zweifeln die kleine Vorrede ist von mir." [Vgl. 19. teil der Litteraturbriefe , 287. briet]
BEIEFE GEBSTKNBERGS AN NICOLAI 53
er sehr wenig Muße hatte ist es unterblieben. Ich werde Ihnen dieß Stück nächstens zusenden1.
Geben Sie mir doch auch eine Gelegenheit an die Hand, wie ich Ihnen die Stücke der Bibliothek die zwischen der Messe herauskommen zusenden kau. Des 4L Bds V- Stück ist schon lange fertig, aber die Copenhagner Buchhändler lassen nichts zwischen der Messe kommen, und an Hansen mag ich nichts senden, denn er ist so anordentlich daß er meine in Geschäften geschriebenen Briefe gar nicht, oder nur halb beantwortet, die Packete fürchte icli möchte er gar verlieren.
Die Nachrichten die Sie zur deutschen Bibliothek einschicken wol- len, werden alle mahl sehr willkommen seyn, wenn in der dortigen Gegend ein neues merkwürdiges Buch herauskömt, und ich kan »ine kurtze Anzeige davon bald erhalten, so ist es mir sehr angenehm, da die Bibliothek ohne dem von Neuigkeiten ziemlich arm ist und viele Leute nicht begreifen können warum manche Recensionen so spät erscheinen. Ich habe mich darüber in der Vorrede des 4tenBds 1*- Stück erkläret und vieleicht werden nun einige Leser begreifen wie mühsam die Zusammentragung dieses Werks ist. Ich bin etc.
0 Neben her muß ich sagen, daß Sie dem M. unrecht thun wegen der Stelle so wichtig als Nützlich, sie ist ein offenbahrer Druckfehler und auch als ein solcher am Ende angezeiget, am Ende des Werks ist im Mst. etwas nicht genug herausgestrichen gewesen.
Nr. 4. Grerstenherg an Nicolai.
Kopenhagen d. 6. Apr. 1767. Sie verlangen, mein kunstrichterlicher Correspondent, (Freund wrollen Sie nicht genannt seyn; überdem muß ich gestehn, daß ich wenig freundschaftliche Correspondenzen kenne, die mir nur halb so viel Freude machten als Ihre kritische), mit einer der ersten Posten zu wissen, welche Litteraturbriefe ich für Muster eines „festen Stils halte": eine Aufgabe die eine sehr tiefsinnige Untersuchung, im Ge- schmack der A. B. veranlassen könnte, wenn ich weitläuftig über Dinge schwatzen möchte, die ich schon für bekannt annehme. Wir wissen leider, was die alten Künstler unter Festigkeit des Stils, Festigkeit der Hand, zuversichtlicher Leichtigkeit im Arbeiten u. s. w. verstanden. Ein Scribent, dessen Ideen sich in den Ausdruck, wie in warmes Wachs, mit ihrer völligen Deutlichkeit und Bestimmung, ohne den Schmutz
1) Nicolai forderte diese komposition noch am 8. märz 1773 durch Eschen- burg von prof. Ebert zurück, dem er sie geliehen hatte. „Sie gehört eigentlich meiner Frau, die sie nicht gern verlieren will."
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kleinlicher Zierrathen. glatt, erhaben, und wie in einander geschmolzen, abprägen, scheint mir das Prädikat, von der Festigkeit des Stils zu verdienen. Beyspiele davon glaube ich im 261, 321, 322 Briefe und dem zwanzigsten Theile im Briefe über Betrams Fortsetzung des Fer- rera1 zu finden, von welchem letztern ich jedoch die Übersetzung aus dem Lucian ausnehme, die steif und schulmäßig, obgleich hin und wieder körnigt genug, geschrieben ist-.
Erklären Sie sich mit gleicher Eile, was das für Hymnen sind, die Sie so fanatisch finden. Als Klopstocks Freunde ist mir aller- dings daran gelegen, daß Sie ein so nachtheiliges Urtheil nicht ohne hinlängliche Prüfung fällen. Was Sie raffinierte Theorie von Tugend und Religion nennen, kann Andern ein sehr angenehmes Ideal von den Empfindungen der Glückseligkeit nach dem Tode seyn, so fern Men- schen sich mit einiger Bestimmung [sie] darüber auszudrücken wißen. Der Dichter behandelt dieß Sujet blos als Charakter; er legt seinen Glückseligen Denkart und Begeisterung bey, wie er glaubt, daß sie ihnen natürlich sind. Die Frage ist also nur, ob sie für orthodoxe Folgen aus wahren Grundsätzen gelten können: räumen Sie das ein, so fällt der Vorwurf des Fanatismus wTeg, der heterodoxe Folgen aus falschen Grundsätzen oder unzulänglichen Inductionen zieht. Die zweyte Frage ist, ob ein solches Ideal mit den Empfindungen der menschlichen Natur misstimme. Der menschlichen Natur — ist ohne Zweifel zu viel gesagt. Warum sollt es nicht von der guten Religion gelten, was die Litteraturb riefe irgendwo mit Grund von der Moral sagen? „Die große Bewegungsgründe von der Schönheit der Tugend „sind es für einen Schaftesbury und die wie er empfinden können: „aber wer sich zu diesen feinen Bewegungsgründen gar nicht zu „gewöhnen Gelegenheit gehabt und sie also nicht fühlen kann, für den ..4nd es gar keine Bewegungsgründe." — Setzen Sie für Bewegungs- gründe Empfindungen: meynen Sie, daß Kl. die seinigen für allgemeine hält? Eine dritte Frage entsteht, ob der Dichter nicht seinen Vortheil besser gekannt hätte, wenn er für die Fassungskraft Aller geschrieben hätte. Doch nein, diese Frage erwarte ich nicht von Ihnen. Sie wißen, daß die alten Artisten groß genug dachten, sich in gewißen Fällen über das Urtheil der Menge hinwegzusetzen. Ein großes Genie kann und muß seinem eignen Urtheile folgen. Wer sich nur um Bey- fall bekümmert, beweist schon dadurch, daß er entweder kein großes Genie sey, oder unter einer beschwerlichen Notwendigkeit seufzen müsse. Beyfall muß von selbst kommen, muß nicht gesucht werden, 1) 226. briet 2) S. 7 fg.
BRIEFE GERSTENBERGS AN NICOLAI 55
muß in der Natur der Sache gegründet seyn. Wenn Kl. diese Maxi- men, mit oder ohne Wißen, von Anfang der Meßiade gehabt hat, so kann er ihr das Fundament seines itzigen Ruhmes ganz allein verdan- ken, und sie muß ihm die Gewähr fürs Künftige leisten. Kxitici, oder nach dem thörigten teutschen Ausdrucke, Kunstrichter entscheiden hierinn gar nichts; sie sind bloße Lest r. War die Sphäre ihrer Ein- sicht der Sphäre des Genius gleich? Das muß vorher geprüft werden. War die Sphäre des letztern excentrisch? Das kann vielleicht zu einer andern Zeit entschieden werden vielleicht auch nicht. Was schadet-? Wir haben das Ideal des Dichters.
Ihr Recept zu einem Stil zu gelangen —
Ihre graven Betrachtungen über die Mißlichkeit meines Unterneh- mens, meinen Stil auf Kosten des Publici zu bilden —
Laßen Sie mich Ihnen ein paar Worte ins Ohr sagen, mein wahr- heitliebender Correspondent. Wenn Sie so etwas drucken ließen, so würde Mancher in dem Verdachte bestärkt werden, daß es, wie die Schweizer einmal aussprengten, (obgleich, ich weis es wohl, ganz ohne Ihre Schuld) in Berlin wirklich eine nikolaisehe Schule gebe, die mit einigen Verbesserungen, nur eine Erneuerung der weiland gottschedischen sey. Ich kann Ihnen als Ihr Vertrauter, nicht bergen, daß man bey Gel Offenheit der vermischten Nachrichten in der A. B. bereits so etwas murmelt.
Bereden Sie Herrn Moses, uns bald mit seinem Moraliste zu beschenken. Ich habe schon vor verschiedenen Jahren Übersetzungen aus dem Arabischen, eine Logicam Probabilium und d. gl. von ihm erwartet. Dem Phädon dieses vortrefflichen Scribenten (empfehlen Sie mich ihm, Sie können ihm von meiner Hochachtung nicht zu viel sagen), der Composition des Herrn Uhden, besonders Ihren Nachrich- ten von Abbts Leben, der neuen Auflage Ihrer Briefe etc. sehe ich mit Verlangen entgegen.
Hansen schreibt mir, daß in der Leipz. Gel. Zeit, einer neuen Edition des Hypochondristen erwähnt worden. Da ich mit der gegen- wärtigen Beschaffenheit dieser Wochenschrift äußerst unzufrieden bin (ich ward wider meine Absicht darein verwickelt, und viele Blätter hat man mir aus den Papiren meiner Kinder- Jahre entwandt, die ich hernach, da ich in Mecklenburg war, zu meiner großen Verwunderung gedruckt las); so habe ich Hansen zur Michaelis -Messe ein ganz um- gearbeitetes Mspt. versprochen; Sie würden mir daher einen Gefallen thun, wenn Sie das Publicum davon in Ihrer BibL, doch ohne meinen
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Namen zu nennen, avertirten. Der vorgebene Verf. heißt Zacharias Jerrstrup.
Wer mag der Verf. der Fragmente zu d. Litteraturbriefen seyn?
Kl. säumt mir zu sehr mit der Meßiade.
Ein Inesiger Freund wünschte zu erfahren, was eine holfeldische
Dreschmühle wovon die Abbildung in der zweyten Lieferung des Berl.
Spectacol. Nat et Art., mit Transport bis Lübeck, kosten könne, und
wie viel Kaum sie einnehmen. Darf ich Sie bitten, mich davon zu
benachrichtigen, und mir zugleich eine richtige Zeichnung mit den
gehörigen Maaßen zu schicken? — Adieu, m. 1. Nicolai. Ich liebe Sie
mit allen Ihren Fehlern. Ihr
Gerstenberg1.
Proft wird Ihre Briefe und Päckchen gern an mich befördern.
Nr. 5. (xerstenberg an Nicolai.
Kopenhagen den 5 Dec. 1767.
Sie werden auf Ihren sehr angenehmen Brief schon lange eine Antwort erwartet haben, m. 1. Freund: ich habe ihn aber erst vor ohngefähr 14 Tagen auf dem Lande erhalten, wo ich mich seit einiger Zeit aufgehalten habe. Nicht als ob ich es selbst nöthig gefunden haben würde, mit der Beantwortung von Herrn Moses zu eilen. Er hat der kritischen Freunde so viele, daß er meine Anmerkungen gern entbehren konnte; und wenn ich ja nach dem ersten Durchlesen einen Einfall niedergeschrieben habe, der ihm undeutlich erscheint, so will ich meinen Fehler nicht dadurch noch vergrößern, daß ich mich weit- läuftig darüber erkläre. So viel kann ich mit Wahrheit hinzusetzen, daß Phädon für mich eins der schönsten philosophischen Bücher ist, die ich je gelesen habe: aber überzeugt hat mich das an sich sehr sinnreiche System nicht; vermutlich deswegen nicht, weil ich noch immer nicht begreifen kann, wie der menschliche Verstand, bey den äußerst wenigen Beobachtungen, die er in dem allerkleinsten Theil der Schöpfung anzustellen Gelegenheit hat, sich erkühnen könne, von der Güte und Weisheit des Schöpfers bestimmte Folgerungen in Absicht aufs Ganze zu machen. Doch Sie werden sagen, es sey meines Amtes nicht, darüber mit Herrn Moses zu raisonniren, und ich breche daher gleich von dieser Materie ab.
Ich werde mich recht freuen, Ihre nähern Gedanken über die griechsche Musik in Yergleichung mit der neuen zu erfahren. Darum
1) Nicolai: 17G7. 4 May [erhalten] GM bwt [zur ostermesse beantwortet].
BRIEFE GEBSTENBEBGS A\ NICOLAI 57
stimmen Sic mit Klopstock überein, daß die Alten unter Thesis und Arsis etwas ganz anderes verstanden haben, als onsre heutigen Musik- gelehrten. Sie scheinen sich aber über die eigentliche Bedeutung die- ser Wörter schon einig geworden zu seyn, und das ist Kl. Dicht Er hat seiner „Abhandlung vom Sylbenmaaße" anderthalb Seiten von Kla- gen über gewisse zweifelhaft«' Stellen in den Schriften der Alten bei- gefügt, und ich verspreche mir von Ihnen viele schöne Erläuterungen. Diese Abh. wird nächstens in Herrn Leßings periodischer Schrift zu lesen sein1.
Wenn ich Ihre Anmerkungen über die alten Syllbenmaaße recht verstanden habe, so gelm Sie darinn ganz von Elopst ab. Sie stel- len Beobachtungen über das Schema eines einzelnen Verses an: Klop- stock scheint mir aber durch seine Eintheilung in Wortfüße und Vers- fragmente auf ein viel fruchtbareres Feld gerathen zu seyn. So wir <■- nämlich der Sinn und die Declamation des hexametrischen Perioden erfordert, entstehen aus der Abwechslung der Dactylen und Spondäen (im Deutschen Trochäen) kleinere metrische Theile von Antispasten, Choriamben, Dispondäen, ionischen Yersen, Epitriten etc. ja fünf und sechssyllbigte Füße, und aus diesen weiter größere Abschnitte, die das Schema eines einzelnen Hexameters so mannigfaltig machen, daß man zu der Bildung desselben noch andre Grundsätze herüber nehmen muß, um von dem Gange und dem Rhythmus eines ganzen Satzes richtig zu urtheilen. Ich enthalte mich aber mehr davon zu sagen, weil ich Ihnen doch nicht verständlich seyn würde. Was meynen Sie damit, daß die Jambi senarii der komischen Poeten, wenn sie nach dem Tact wären gesungen worden, unsren deutschen Jamben vollkommen ähn- lich würden gewesen seyn? Ich weis wohl, daß Marpurg durch seine Tacteinth eilung der Horazischen Syllbenmaaße hat herausbringen wollen, unsre heutige Art, das Latein auszusprechen, sey die richtigere: ich kann mir aber nicht vorstellen, daß auch Sie aus dieser willkührlichen Disposition der Wörter unter accentuirten und unaccentuirten Noten etwas sollten beweisen wollen: denn mich dünkt, die Stellung der
1) Es ist Lessings und Bodes geplante Zeitschrift „Deutsches museumu gemeint, in welche von Klopstock noch ausserdem Oden und der Hermann, von Gerstenberg der Vgolino und ein lustspiel von Zachariä kommen solten, wie Lessing an Nicolai schreibt (2. febr. 1768). Buschmann aus Stralsund schreibt Nicolai den 9. märz 1768: „Man hat mich versichert, dass Lessing an einem Werke arbeitete, wozu er Klop- stock, Weißen, Gerstenberg und andere berühmte Schriftsteller als Mitarbeiter erbeten hätte ..." Am 3. nov. 1768 fragt er, ob das ganze vorhaben aufgegeben sei, weil „der graf Ugolino daraus besonders abgedruckt" sei.
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Noten müsse sich nach der Quantität der Syllben richten. Das para- doxeste aber ist mir, daß sich alle kurze Syllben zu den langen wie 1 zu 2 verhalten: ich habe immer dafür gehalten, daß die Kürzt' und Läng« . selbst in der Anwendung auf den musikalischen Rhythmus, verschiedener Art wäre.
Verzeihn Sie mir liebster Freund, diese kleine Unart, mich in Dinge einzulaßen. die Sie gewiß beßer verstehen, als ich. Ich bin zwar ein Erzliebhaber der Musik, aber kundig bin ich ihrer sehr wenig.
Ich habe Bach einen guten Singcomponisten genannt; ich glaube nämlich, daß er, wo er will, so cantabil setzen könne, als irgend ein andrer Deutscher, und dieß zwar nicht nur in eigentlichen Singsachen, ödem auch in Claviercompositionen: schwer, das gebe ich Ihnen zu, aber doch melodisch und sangmäßig. Weil ich eben heute so viel von der Musik mit Ihnen schwatze, so muß ich Ihnen doch erzählen, daß ich einige musikalische Experimente mache, worüber ich Ihre Meynung wißen möchte. Ich nehme erstlich an, daß die Musik ohne Worte nur allgemeine Ideen vorträgt, die aber durch hinzugefügte Worte ihre völ- lige Bestimmung erhalten; zweytens geht der Versuch nun bey solchen Instrumentsolos an, wo der Ausdruck sehr deutlich und sprechend ist. Nach diesen Grundsätzen habe ich unter einige Bachische Ciavier- stücke, die also gar nicht für die Singstimme gemacht waren, eine Art von Text gesetzt, und Klopstock und Jedermann sagt mir, daß dieß die ausdrucksvollsten Singsachen wären, die man hören könnte. Unter die Phantasie z. E. in der sechsten Sonate, die er zur Application sei- nes Versuchs etc. componirt hat, lege ich Hamlets Monolog, wie der über Leben und Tod phantasirt. alles in kurzen Sätzen, das Largo aus- genommen, das eine Art von Mittelzustand seiner erschütterten Seele ausmacht. Auf eben diese Art habe ich einen Schlachtgesang ge- macht, wovon ich gewiß versichert bin, daß er bey weitem so gut nicht gerathen wäre, wenn der Componist die Worte in Noten gesetzt hätte, als itzt, da der Versificateur die Noten in Worte gesetzt hat; wovon der Grund mir in den vorausgeschickten beiden Sätzen zu lie- gen scheint. Doch gebe ich freylich zu, daß man diesen Versuch nicht zu weit ausdehnen muß: denn einige, obgleich ausdrucksvolle Instrumen- talstücke können auf keinerley AVeise für die Singstimme genutzt werden.
Wie sehr bin ich Ihnen nicht verbunden, mein Werthester, daß Sie mir außer dem Concert in Edur, welches ich erhalten habe, auch noch die Anweisung, und andre mir etwa fehlende Sachen schicken wollen. Ich besitze von Bach folgendes: Sei Sonate cled. cd Bc dl Frussia — VI Sonate L>. cd JJuea die Wirtemb. — Sonate mit verän-
BRIEFE BBBSTBNBEEGS AN" NICOLAI 59
derten Reprisen nebst deren erster und zweyter Fortsetzung — Sechs leichte Ciaviersonaten — Ciavierstücke verschiedener Art — Ciavier- stücke für Anfänger, erste Sammlung — Gellertsche Lieder (wobey ich fast durchgehends statt des ßellertschen Textes «inen Psalm von Cramer oder auch ein Lied von moralischen Inhalte untergelegt habe; ja eine von diesen Melodien hat mir sogar ein Hagedornisches Lied zu erfor- dern geschienen1) — Oden — Tonstücke fürs Ciavier von Bach and einigen andern classischen Meistern (wie sie sieh nennen) — Fugen — Concert aus D und E # — III Sonatine mit Stimmen Der Wirth
und die Gäste — Phvllis und Thvrsis (woraus ich einen Faun und Dianens Nymphe gemacht habe). AVegen der Cantate will ich näch- stens an Bach schreiben, und danke Ihnen imYoraus für Ihr Anerbiethen.
Ihre Abhandlung vom Trauerspiel hat der Etatsrath Fleischer, der Hauptverfasser der Samlinger2 etc. ins Dänische übersetzt, and ich gestehe Ihnen, daß ich selbst ihm diese Übersetzung angerathen habe, weil ich mich nicht besinne, mehr gute Anmerkungen in einer so kurzen Abh. beysammen gefunden zu haben, ob ich gleich nicht mit allem einig bin. Eben dieser sehr verdiente und in ansehnlichen Ämtern stehende alte Mann hat auch vor kurzem Herrn Weißens Richard III in reimlose fünffüßige Jamben übersetzt, welches der erste Versuch dieser Art in Dänemark ist3; und wenn er nicht, so wie er ein Sammler von Vögeln, Insecten und Mineralien ist, die kleine Grille hätte, auch altnordische Wörter zu sammeln, und bey jeder Gelegen- heit an Mann zu bringen, so würde diese Übersetzung auch auf dem Theater reüssiren können. Die Grazien nebst andern Kleinigkeiten von mir hat er sehr vortrefflich übersetzt.
Ich denke, ich habe Sie lange genug aufgehalten. Leben Sie
wohl, mein liebster Nicolai, und lieben Sie mich. Ich bin gewiß mit
wahrer und lebhafter Hochachtung
der Ihrige
Gerstenberg.
Bald hätte ich vergessen, Ihnen für die vorteilhafte Kecension des Skaldengedichts zu danken4. Ich kann Ihnen bei der Gelegenheit
1) Aus diesen untergelegten texten entstanden Gerstenbergs lieder nach berühm- ten mustern, vgl. die amn. Gerstenbergs zu „Bacchus und Venus. Nach Gleim.u Verm. Schriften Altona 1815. 2. bd. S. 218.
2) Samlinger af adskillige Skrifter til de skjönne Videnskabers og det danske Sprogs Opkomst og Fremtarv. Sorö 1765. Tre Stykker.
3) Minor, Chr. Felix Weiße s. 210.
4) Algemeine deutsche bibliothek 5, 1, 210 fgg.
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sagen, daß die nordische Mythologie nicht allein Stoff für einen neuen Ariost enthält, sondern daß auch Klopstock sie itzt in alle seine Oden verwebt, woraus die griechische \on ihr völlig verdrängt worden. In Hermanns Schlacht kommt sie auch vor. Was sie mit der Regel- mäßigkeit zu thun habe, begreif ich nicht völlig.
Könnten Sie nicht Herrn Bach bereden, daß er einige Lieder mit Variationen componirte, so daß die simple Melodie immer gesungen würde, die Variationen sich aber nach dem Gehalt der Strophen rich- teten. Auf diese Art singe ich mit einigen nöthigen Veränderungen des Textes das Lied: 0 Chloe, höre du der neuen Laute zu etc. zu einer von Bach vorlängst mit Variationen gesetzten textlosen Arie: und Sie glauben nicht, wie schön sichs ausnimmt. Es versteht sich, daß dieß nur bey Liedern von reizendem oder lustigen Inhalte statt finde: der Charakter der AVürde, Simplicität etc. schließt dergleichen Verände- rungen au-.
So eben erhalte ich Ihr Schreiben vom 28. Xov. nebst dem Päekchen Musikalien und Ihrem Geschenk der Bibl. und des ersten Theils von Abbt. Die Post läßt mir nicht mehr Zeit, als Ihnen den Empfang zu melden, und mich zu bedanken. Das Geld assigniere ich mit der nächsten fahrenden Post an Herrn Lessing1.
Nr. 6. Grerstenberg an Nicolai.
Kopenhagen d. 27. Apr. 1768.
Sie überhäufen mich mit Gefälligkeiten, mein werther Freund. Ich hätte Ihnen schon längst für die Menge der schönen Sachen dan- ken sollen, die Sie mir übersandt haben, besonders für die Composition des Herrn Uhden. Hätte ich geglaubt, daß er die Grazien für volle Musik ausgearbeitet hätte, so würde ich mich nicht unterfangen haben, Sie darum zu bitten. Ich hielt es bloß für ein Ciavierstück. Aber desto besser für mich. Ich habe schon ein paarmal Gelegenheit gehabt, unter guten Freunden mit meiner Frau aufzuführen, und man findet für das Werk eines Liebhabers viel schönes drinnen. Nur scheint die Form einer Cantate nicht gar zu gut gewählt zu seyn, und daß die musikalische Recitation der Prose Schwierigkeiten habe, empfindet man hin und wieder. Überhaupt aber hat Herr Uhden den vortrefflichen Graun gewiß nicht umsonst gehört. Auch für das neue Stück der Bibl. bin ich Ihnen sehr verbunden: ich habe verschiedene Recensionen mit
1) Nicolai: 1708 22. Jan. 24. Febr. bwt.
BRIEFE GEHSTENBBBG9 AN NICOLAI Gl
dem größten Vergnügen gelesen, dünkt Ihnen aber nicht, daß Herr
Moses (denn Er wird es doch wohl seyn) den Agathon zn sehr als Philosoph beurtheilt hat? Doch vielleicht war es nirgends nöthiger, als hier. Die vorteilhafte und verdiente Reeensi.»n der Resewitxischen Predigten hat mir deswegen keine geringe Frende gemacht, weil die- ser würdige Mann hier bey weitem für sein Verdienst aoch nicht bekannt genug ist. Ich habe ihn völlig so gefunden, wie Sie ihn mir beschrieben haben. Ich liebe Hin sehr, und glaube, dar. er mich auch liebt.
Was ich von Herrn Klotzen sage? Herr Klotz ist ein Ckd1. Wenn Scoppios oder ein andrer bestaubter runzlichter Schulmeister von den Todten aufstünde, und mit wohlfrisirtem Haare und einen) französischen Petit-maitre-Pöckchen erschiene: so würde er so ein Mittelding seyn, wie ich mir Herrn Klotz vorstelle. Herr Klotz ist ein großer Oul: das ist alles, was ich von ihm zu sagen habe.
Ihrer Abhandlung von der Musik der Alten auf ihre Versarten angewandt sehe ich mit dem größten Verlangen entgegen. Sic schei- nen mir sehr tief in diese Materie eingedrungen zu seyn: so viel bemerke ich schon aus dem wenigen, was Ihnen beliebt hat, mir davon zu schreiben. Ich muß mich über Klopstocks ähnliche Arbeit undeut- lich ausgedrückt haben, weil Sie vermuthen, daß er nicht bey den ersten Bestandteilen des Verses angefangen habe. Man kann schwer- lich alles, was dahin gehört, sorgfältiger sammeln, und mit mehr Scharfsinn zergliedern, als er gethan hat. Man wird eher von ihm urtheilen, daß er der Sache zu viel2, als zu wenig gethan habe. Sie werden seine Schrift in einer der ersten Xummern des Museum lesen.
Sie verlangen, daß ich Ihnen meinen Text für Bachische Phan- tasie schicken soll? Ich will es wagen. Aber ich sage Ihnen vorher, daß ich diesen Text nur dem Freunde, der meine Amüsemens mit Nachsicht beurtheilt, nicht dem strengen Kunstlichter, mittheile. Hier ist er. Die römische Zahl bedeutet das Notensystem, die deutsche den Takt. Sie werden von selbst errathen, daß einige Stellen die unisono mit dem Baß gehen würden, eine etwas veränderte Modulation für die Singstimme haben müßen. Doch eben besinne ich mich, daß die Phan- tasie eine freye ohne genaue Taktabmessung in den beiden Allegros ist. AVie soll ich Ihnen nun das Unterlegen meines Textes ohne Noten verständlich machen? Am besten, ich überlasse das Ihrem eigenen
1) Natürlich, engl, gull = tropf.
2) Am fusse der seite steht: (Das Geld für die Musikalien von Bach werden Sie durch Herrn Lessing erhalten haben.)
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Geschmack, und sage Ihnen bloß, daß das erste Wort sich am Ende des eisten Systems anhebt, so nämlich
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Seyn
Hamlet. I. Seyn!
IL oder Nichtseyn! IL Das ist die große Frage! IL Das ist die große Frage!
III. Tod! Schlaf!
IV. Schlaf! und Traum!
IV. Schwarzer Traum!
V. Todestraum !
VI. Ihn träumen, ha! den Todes-
traum ! Largo. Eine Stimme aus den Grä- bern. (Hier geht die Singstimme mit der Ciavierstimme fort, außer wo der
Ins Licht zum Seyn erwachen!
Zur Wonn hinaufwärts schaun!
So Seele!
die Unschuld sehn,
die Dulderinn
Wie sie empor ins Leben blüht
Der Ewigkeit!
Die alle sehn die wir geliebt,
Nicht mehr von uns beweint!
Hoch tönte, hoch tönte im Arm
der Zärtlichkeit. Das war Wiedersehn! Dann stürzt (zwei Achttkeil Pau ach! vom Entzücken heiß, ach! vom Entzücken heiß, die Himmelsthräne hin (Die beiden letzten Takte Cemb. solo.)
oder Nichtseyn
VI. Ins Leben schaun!
VII. ins Thränenthal! VII. wo Tücke lauscht! All. Die Bosheit lacht!
VII. Die Unschuld weint!
VIII. 0 nein ! o nein !
IX. lins Nichtsevn — hinabzu-
schlummern !
allzubreite Umfang der letzteren eine kleine Beschränkung nöthig macht, welches auch bev den bei- den Allegros zu merken ist.)
Allegro moderato. Hamlet. I. AVo ist ein Dolch? IL ein Schwert? n. ins Grab des Seyns n. hinabzufliehn! IL zu sterben, ach! in. den edlen Tod III. des hohen Seyns. III. Wo ist ein Dolch?
III. ein Schwert?
IV. vom Thal des Fluchs IV. des Fluchs!
IV. ins Grab des Sevns hinab IV. zum Leben zu entschlafen.
BRIEFE GERSTENBERGS AN NICOLAI 63
Nebenher kann ich nicht umhin anzumerken, daß diese Bachische Phantasie Herrn Lessings Meynung im 27ten St. der Dramaturgie, als
ob1 der Musikus in einem einzelnen Stück nicht aus einer Leiden- schaft in die entgegengesetzte, nicht aus dem Ruhigen z. E. in das Stürmische, aus dem Zärtlichen in das Grausame übergehn könne, ziem- lich deutlich widerlegt. Herr Lessing scheint an die Übergänge nicht gedacht zu haben, wovon wir in dieser Phantasie, und wie mich dünkt in vielen andern Sonaten von Bach, merkwürdige Exempl haben9.
Noch ein paar Worte vom Text zu sagen, ließe sich aus dem Anblicke desselben vermuthen, daß ich den musikalischen Rhythmus nicht beobachtet habe. Aber ich glaube diesem Rhythmus so sorgfal- tig als möglich nachgegangen zu seyn.
Vergeben Sie mir meine Schwatzhaftigkeit, und fahren Sie fort mich zu lieben Ihr
ganzergeben st. ( - eist enl »erg.
Da Sie die Güte gehabt haben, mir Ihre Bibl. bisher zu schicken, so möchte ich Sie noch um das nicht gesandte erste Stück <\r> dritten Bandes ersuchen, welches ich hier nicht einzeln erhalten kann.
Nr. 7. (xersteiiberg an Nicolai.
Kopenhagen am 6. Aug. 1768. Wenn es nicht zu spät ist, so möchte ich Sie wohl, mein lieb- ster Freund, um eine Gefälligkeit bitten. Sie wißen, daß ich auf die Briefe über Merkwürdigkeiten etc. keinen großen Werth setze. Da inzwi- schen die Kritiken, die man wider sie gemacht hat, sich größtenteils auf Misverstand oder Verdrehungen gründen, so kann es mir nicht gleichgültig seyn, daß das Publicum erfahre, aus welchem Gesichts- punkt sie hatten beurtheilt werden sollen. Ich habe vor geraumer Zeit, da mir einige Freunde riethen, diese Briefe fortzusetzen, ei neu kleinen Vorbericht aufgeschrieben, worinn jener Gesichtspunkt deut- licher angegeben ward. Bald darauf aber beharrte ich in meinem ersten Vorhaben, keinen zweyten Band drucken zu laßen: nun wünscht.' ich, daß von den Anmerkungen in dem erwähnten Vorbericht einiger Gebrauch zu meiner Rechtfertigung gemacht werden könnte. Ech kenne
1) Darnach: uns (gestrichen).
2) Lessings worte lauten: „In Einer Symphonie muß nur eine Leidenschaft herrschen, und jeder besondere Satz muß eben dieselbe Leidenschaft, bloß mit ver- schiedenen Abänderungen, es sei nun nach den Graden ihrer Stärke und Lebhaftig- keit, oder nach den mancherlei Vermischungen mit andern verwandten Leidenschaften ertönen lassen und in uns zu erwecken suchen."
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Sie für einen wahrheitliebenden und nnparteyischen Kunstlichter. Sie werden vermuthlich die Briete über M. recensireu, und hätten es also in Ihrer Gewalt. \on meinen Gründen soviel anzuführen, als Sie für richtig erkennen. Uli glaube, daß dieß auf eine ungezwungene Art geschehen kann, ohne daß man zu wißen brauchte, daß diese Anmer- nungen von mir herkommen, und ohne daß sie das Ansehen einer Verteidigung erhalten. Erlauben Sie mir, daß ich Ihnen den Vor- bericht, so wie er ist, abschreibe, und geben Sie den darinn enthal- tenen Gründen eine Wendung nach Ihrem Gefallen. Ich bin mit der
größten Hochachtung Ihr
ganz ergebenster
Gerstenberg. Wir sind einigen aehtunsfs würdigen Lesern schuldig, uns über
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gewiße Dinge in der Einrichtung dieser Briefe zu erklären, die schon des wegen leicht misgedeutet werden konnten, weil wir den Gesichts- punkt nicht angaben, aus dem wir unsere Briefsammlungen beurtheilt haben wollten. Der Schriftsteller, der von der Einsicht seiner Leser voraussetzt, daß sie diesen Gesichtspunkt selbst finden werden, giebt zwar einen Beweis seiner Bescheidenheit: aber er schadet sich, wenn er zu bescheiden voraussetzt, daß ihn Alle, und daß sie ihn immer finden werden. Er ist dann in dem Fall eines Schauspieldichters, der die Vorbereitung seines Stücks vernachläßigt, in der Hoffnung, die wich- tigen Yerhältniße, worin er seine Charaktere aufstellt, werden statt einer jeden Erläuterung dienen, und das Vergnügen der Zuhörer um so viel wirksamer befördern, jemehr ihre Selbstthäigkeit dadurch beschäf- tigt wird.
Diese Vergleichung scheint zu weit hergeholt, aber sie ist es nicht. Erdichtete Briefe haben manchen Grundsatz mit den Gesprächen auf der Bühne gemein; und sind sie vollends sehr merklich bezeich- nende charakteristische Briefe, so nähern sie sich einer der Haupt- eigenschafteu des Drama. Ein Verfechter solcher Briefe hat die Ver- bindlichkeit, seinen eignen Charakter, seine eigne Art sich auszudrücken, sogar seine eignen Urtheile zu verläugnen; er giebt seinen Personen Mängel, um sie, wenn man so reden darf, zu vereinzeln; er giebt ihnen ihren besondern Ton der Denkungsart, oft auch des Ausdruckes*);
*) wie in den Briefen über Shakespear. Fäsi und an Herrn * Ba- risien, einer der Verfasser des Nordischen Aufsehers, der vor kurzem als K. danischer Consul zu Marncco gestorben ist.
BRIEFE GERSTENBEHGS \N NICOLA]
er weist einer jeden unter ihnen die eigentümliche Sphäre der Er- kenntnisse an, die seinem Zweck am gemäßesten ist.
Wenn man einige sonderbare Sätze in iinserü Briefen, z. E, vom Trauerspiel, von der Ode, vom Genie aus diesem Gesichtspunkte betrach- tet, so wird man bald bemerken, daß die Saite hier mit Vorsatz über- spannt ist, weil sie andere zu schlaff anzogen; man wird sich fragen, was denn eigentlich erfordert wird, ein Lied, eine Ode, ein Drama, eine Epopöe zu dichten; man wird vielleicht finden, daß der wunder- liche Mann, der Bibliothekar, die Schranken des Genies zwar viel zu weit fortrückt, aber man wird vermuthlich doch auch die Entdeckung machen, daß das Genie eine schlechte Laufbahn habe, wenn mau sie, wie seit einiger Zeit geschehen ist. mittelmäßigen Talenten zu Gefallen, so gar nahe an einander schiebt. Ob hingegen die ürtheile des erdich- teten Bibliothekars zugleich die wahren Ürtheile des Verfaßers sind, darum wird man sich so wenig bekümmern, als man sich einfallen Läßt, die gründlichen Maximen des Pedanten Brand in der Clariße dem Briefschreiber Richardson anzurechnen.
Wir haben noch etwas Weniges von der Schreibart der Briefe zu sagen. Es wäre ein Fehler gewesen, wenn Leute von verschiedenen Begriffen, die, der Anlage nach, nicht für die Welt, sondern für ihre Freunde schreiben, einerlev Ton annähmen. Man würde sehr Unrecht haben, wenn man in solchen Briefen, welche überdem die eigentüm- liche Laune des Schreibers andeuten sollen, eine classische Schreibart erwartete, die doch immer, als Ideal, nur eine einzige seyn kann. Man wird gleichwohl Rechenschaft erwarten, warum denn diese und keine andre Schreibart gewählt, insbesondere aber, warum wir uns vieler ausheimischer [sie] Wörter und einiger Carricaturausdrücke bedient haben. Yon den letzteren haben wir oben geredet. Hier setzen wir nun hinzu, daß schon Lucian die nitvoKaixnxac, und TpayeXacpug der charaktristischen Composition unentbehrlich fand. (S. Prometheus es in verbis1). Was zweytens die ausheimischen Wörter betrifft, so ist es in Privatbriefen, auch der besten Schriftsteller, nichts Ungewöhnliches, daß sie, wenn sie an Liebhaber einer gewißen Sprach« • schreiben Stel- len aus den Poeten dieser Sprache oder einzelne Ausdrücke mit ein- fließen laßen: nicht um ihre Muttersprache damit zu bereichern, son- dern aus andern Ursachen. Wenn es aber schlechterdings nothwendig sevn soll, aus Privatbriefen, sobald sie der Welt mitgetheilt werden, dergleichen Stellen oder Ausdrücke auszustreichen, so sehen wir nicht.
1) Vgl. Lucian TTobg tov tlnöiTir /fooin,!tn\- e2 & loyoig cap. 7, 30.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXÜI. u
66 WERNER. BRIEFE GERSTENBERGS AN NICOLAI
wie man die unten angeführten* aus den Briefen eines Römers, der sonst eben nicht schlecht schrieb, zu vertheidigen denkt. Und man glaube ja nicht, daß wir diese mit vieler Mühe ausgesucht haben, weil sie zu unsrer Absieht dienen: mau wird unter den Briefen an Attieus wenige antreffen, die einem deutschen Kunstrichter nicht Stoff zu den götzlichsten Einfallen darböthen! Ferner müßen wir gestehen, daß wir die Schreibart der Briefe, wie sie nun da ist nicht gern von Jeman- dem verurtheilt wißen wollen, der sich nicht mit den hier von uns angenommenen Grundsätzen bekannt gemacht hat, die Lucian und Shaftesbury** abhandeln. Denn gewiß, die Regeln des Stils, die viele deutsche Kunstrichter aus ihren eignen Schriften, nicht ohne Scharfsinn, herausgezogen haben, sind zu unvollständig, als daß sie auf jede Gat- tung von Schritten angewandt werden könnten. Endlich würden wir uns wundern, wenn nicht einsichtvolle Leser, außer der willkührlichen Abwechslung des Tons, noch eine andere, wiewohl seltenere, bemerkt hätten, die von der Verschiedenheit der Verfaßer herrührt.
Da ich diesen kleinen Aufsatz überlese, so finde ich, daß ich im Abschreiben einen Satz ausgelaßen habe, der das Recht betrifft, auch in der Kritik die charakterische Composition anzuwenden. Der Satz ist zu lang, ihn liier einzurücken: ich will darum nur das Wesentliche davon anfahren.
„Es giebt keine kritische Schrift, bey der man nicht die Kritik, die Sammlung unstreitiger Wahrheiten des Geschmacks, von dem Kri- tiker, dem Menschen, sorgfältig unterscheiden müste: bey dem letztern geht ein Zusatz von Irrthümern, in die Wahrheit über, der bald aus
*) Fenestrarum angustias quod reprehendis , scito te KvosnatSeiccp reprehen- dere. Nam dum ego idem istuc dicerem, Cyrus aiebat, viridariorum $ut<juc>iL> latis luminibus doq tarn esse suaves. Etenim tonn oxpig utv r) c, io §t oowutvov ß, y < /iivh; dt 6 y.tn t. Vides enim caetera. Nam, si *«r' tifao/.ojv epniraoiis videre- raus. valde laborarent eiStoXa in angustiis: nunc fit lepide illa ex^votg radiorum. Cae- ra si reprehenderis . non feres Tacituin. nisi quid erit eius modi, quod sine sumptu coirigi possit Venio nunc ad mensem Januarium, et ad vnoOTaoiv noftram ac noh- rtufv: in qua ZtoxQattxiog tu fearegov: sed tarnen ad extremum, vt illi solebant, ir\v aoeaxaaav. Cic. ad Att. IL 3.
Ubi sunt, qui aiunt CwOtjs (poyvrjg? quanto inagis vidi ex tuis litteris, quam ex lllius sermone, quid ageretor? de ruminatione quotidiana, de eogitatione Publii, de iituis ßownirdog und so weiter bis xat Kix&q<ov O <fi/.ooo(fo; top nokvnxov Titov aßjiaCtTat ibid. 12.
Nunc quoniara et laudis und so weiter bis ut ab omnibus et laudemur et amemur ibid. 1 . 15.
«er am angeführten Orte, dieser im dritten BCiscellany.
DÜNTZER, ENTSTEHUNG 70» äl II •'>.
der Unvollkommenheil seiner Einsichten, bald aus seiner Systemsucht, bald aus seiner Predilection für gewi&e Lieblingsschriftsteller, bald aus andern Ursachen zu erklären ist. Eis i-t also weii gefährlicher, einen Kunstrichter zu lesen, der seine Stimme für die stimme der Kritik selbst ausgiebt, da es doch unmöglich ist, daß er sich Dicht sein- ofl betrügen sollte, als einen Sammler kritischer Briefe, bey dem offenbar die Frage vorausgesetzt wird, ob die darinn enthaltenen Grtheile ihren Grund in der Natur der Sache, oder in dem kritischen Charakter <i Briefschreibers haben. Der letzte schärf! die Aufmerksamkeit und den Verstand dr± Lesers: der eiste führt ihn gemeiniglich oder doch sehr oft irre. Jenes ist eine Folge der sokratischen Bescheidenheit, diesi der sophistischen Zuversicht.
[In drin eben erschienenen „Katalog einer wertvollen autographen- samlung aus (hin besitze der verstorbenen herren Wendelin nm Malt- tahn, Hans Reimer und anderer .... Berlin, Albert <'<>/i/i 1890° findet sich als nr. 85 ein weiterer brief Gerstenbergs au Nicolai vom 18. april 1772 angeführt. 3. 2. im. E. M. WJ
DIE ENTSTEHUNG DES ZWEITEN TEILES VON GOETHES
„FALTSTU, INSBESONDEEE DEE KLASSISCHEN WA LIT k'-
GISNACHT, NACH DEN NEUESTEN MITTEILUNG EN.
Das bei weitem bedeutendste, was das goethearchiv zur Geschichte der dichtungen des meisteis geborgen, ist endlich im fünfzehnten bände der Weimarischen ausgäbe zur volständigen mitteilung gelangt und die hochgespante erwartung nicht getäuscht werden. Nicht allein hat der text durch die volständige, wenn auch nicht fehlerfreie handschrift eine festere grundlage erhalten: auch frühere abschriften sind aufgefunden, die manches berichtigen, auch einen ausgelassenen 7ers bringen, und zahl- reiche inhaltsangaben, skizzen und erste entwürfe gestatten uns einen blick in die ursprüngliche anläge und ihre mannigfaltigen, tiefgreifen- den Umgestaltungen und steigern die bewunderung des greisen dich- ters, der mit unversieglicher gestaltungskraft die grundzüge seiner erfindung immer voller, feiner und beziehungsreicher ausarbeitete, sie mit reich zuströmendem geist und gehalt hob, so dass die dichtung zu einem wahrhaften gotischen dorne ward, an welchem alles bis zu den äussersten spitzen von frischem leben quillt und spriesst. und — während dieser grosse märchenwald uns zu wundervollem staunen hin-
68 DÜNTZER
reisst — alles einzelne die besondersten, oft tief deutenden, oft humo- ristischen, beziehungen auf manche Verhältnisse zeigt, deren Verständnis meist nicht zur auffassung des ganzen erforderlich ist, diese aber an- ziehend gleichsam krönt Der herausgeber, prof. Erich Schmidt, hat auf die bewaitigung des ungeheuren Stoffes ausserordentliche mühe ver- want, aber leider dem leser die Sache nicht leicht gemacht, der sich oft wie durch wild ineinander gewachsenes gestrüpp durcharbeiten mu Vor allem fehlt es an übersichtlicher Unterscheidung der vom dichter oft auf ein briefconeept, ein couvert, einen theaterzettel, ein verworfenes blatt, ein schon beschriebenes papier rasch hingeschrie- benen ersten skizzen oder versentwürfen, der aufzeichnungen verschie- dener, nicht zusammengehörenden stellen auf einem bogen oder einem teile eines selchen, der aneinanderfügung einzelner zusammengehörigen stellen zu einem ganzen und der reinschriften , das einen leichten ein- blick in die verworrenen massen ergäbe. Und hat auch der herausgeber sich näher mit dem zweiten teile bekant gemacht, so fehlt doch viel, dass er ganz in ihm und den zahlreichen versuchen der erklärer lebte. Auch urteilt er zuweilen gar zu vorschnell. Für die feststellung der entsteliungszeit der einzelnen teile hätte sich manches leicht gewinnen lassen.
Aus dem tagebuch wissen wir, dass Goethe ein „ausführlicheres schema zum Faust" am 23. juni 1797 niederschrieb. Längst hatte uns ein brief an Schiller belehrt, dass er bereits anfangs mai 1798 die noch ungedruckten teile des „alten höchst konfusen manuscripts" in abgesonderten lagen nach dem ausführlichen schema geordnet hatte. Die neuern mitteilungen ergeben, dass die stücke des zweiten teiles die nummern 20 bis 30 trugen, und dasjenige, was später zum „Faust" hinzukam, den betreffenden lagen beigefügt wurde.
Zu den vorhandenen stücken gehörte auch „Helena im mittel- alter. Satyrdrama. Episode zum Faust", wie es auf einem erhaltenen titel heisst. Ihren wesentlichen inhalt können wir mit ziemlicher Sicher- heit der Übersicht entnehmen, die Goethe im december 1816 für den vierten band von „Dichtung und Wahrheit" entwarf. Als Mephisto- pheles. nach dem unglücklichen ausgang der geisterbeschwörung am hofe, wider mit Faust zusammen triff, bestürmt ihn dieser, ihm die Helena zu verschaffen. „Es finden sich Schwierigkeiten. Helena gehört dem Orkus an und kann durch Zauberkünste wol herausgelockt, aber nicht festgehalten werden. Faust steht nicht ab, Mcphistopheles unter- nimmts. Unendliche Sehnsucht Fausts nach der einmal erkanten höchsten Schönheit. Ein altes schloss, dessen besitzer in Palästina
ENTSTEHUNG VON FAUST TT 69
krieg führt, dessen kastellan aber ein zauberer ist, soll der wohnsitz des neuen Paris werden. Helena erscheint: durch einen magischen
ring ist ihr die körperlichkeit widergegeben. Sie glaubt so eben v<m Troja zu kommen und in Sparta einzutreffen. Sie findet alles einsam, sehnt sich nach geselschaft, besonders nach männlicher, die sie ihr leben lang nicht entbehren können. Paust tritt auf und steht als deut- scher ritter sehr wunderbar gegen die antike heldengestalt Sic finde! ihn abscheulieh, allein da er zu schmeicheln weiss, so findet sie sich nach und nach in ihn und er wird der nachfolger so mancher heroen und halbgötter." Vgl. dazu jezt 9252 fgg. Aber auch ein älteres, eine anspielung auf die französische erklärung der menschenrechte ent- haltendes schema hat sieh auf einem gebrochenen foliobogen erhalten. Als personen werden liier ausser Helena eine Ägypterin (als Ägypter galten die zigeuner) und mägde genant, als scene ein „freundlicher ort im Rheintal." Helena befiehlt als spartanische fürstin. Die Ägypterin, unter der Mephistopheles steckt, macht als schafherin „albern»' spässe." Am rande findet sich bemerkt: „Schweigende orakel, kartenschlagen und händedeutung [Chiromantie]." Helena wird verdriesslich darüber. Die weitern reden der Ägypterin rufen Helenas drohung hervor. Auf jene bezieht sich wol die randbemerkung: „Schwäne, röhr [im Eurotas] Tanz [die Spartaner waren als tanzliebend bekant]. Grad oder Ohgrad [das bekante spiel]. Schöne weiber [die in Sparta auch durch freiere kleidung sich auszeichneten]." Auf der Helena drohung erwiderte die
schamerin :
Und. das heilige menschenrecht
Gilt dem herren wie dem knecht.
Brauch' nicht mehr nach Euch zu fragen,
Darf der frau ein schnipchen schlagen.
Bin dir längst nicht mehr verkauft,
Ich bin christin, bin getauft.
Die beiden ersten verse finden sieh in algemeinerer fossung auch unter
ausserungen der Phorkyas (Paral. 171). Helena hatte geglaubt, Venus gestatte ihr, nach Sparta zurückzukehren. Auf ihr erstaunen, dass sie ihre heimat nicht wider erkent, erwidert die Ägypterin: „Zuerst aus dem 0... freundl. ort Rheinthal", heisst es nach Schmidt im Schema, Aber „0...", das Schmidt gibt mit der frage: Nicht etwa Orkus?" scheint verlesen statt „EL", da bald darauf des El y sin ms gedacht wird. Helena jammert, dass Yenus sie „wider belogen", und beklagt das ungiück, welches die Schönheit ihr gebracht, wogegen die Ägyp- terin das lob der Schönheit anstimt. Man vergleiche dazu Helenas
7(i DÜNTZEB
klage 8531 fg. und des Mephistopheles preis ihrer Schönheit 8909 — 8912. Die angst, dass sie nicht wisse, wem sie angehöre, tröstet die schamerin, welche ihr bedürfhis kent, durch den hinweis auf den edlen ritter. der dieses schloss behersche. Faust erscheint. Als sie auch ihm gegenüber auf dem verlangen nach den ihrigen besteht, muss sie ver- nehmen, dass die zeit derselben längst vorüber, Faust ins elysium
drangen ist. um sie der erde wider zuzuführen. Da spricht sie ihm denn ihren auf der ..heidnischen lebensliebe" beruhenden dank aus. Nachdem der ritter seinen leidenschaftlichen anteil an ihr zum schwär- merischen ausdruek gebracht, ergibt sie sich ihm. Der auf demselben blatte stehende trimeter ist offenbar später eingetragen, als der dich- ter zur bearbeitung des Stoffes in diesem antiken vermass sich ent- schlossen hatte. Xoch weniger war Schmidt berechtigt, die 11 trime- ter. die auf demselben blatte mit versen der „Helena" stehen, zur „ältesten phase" zu ziehen, da hier die schamerin schon Phorkyas heisst. was bestirnt auf die zwanziger jähre deutet. Über die weitere handlung klärt uns die fortsetzung des berichts von 1816 auf: „Ein söhn entspringt aus dieser Verbindung, der, sobald er auf die weit komt, tanzt, singt und mit fechterstreichen die luft teilt." Von einer allegorischen beziehung desselben ist so wenig wie von seinem namen die rede. Die weitere entwicklung beruhte auf der begrenz ung des zauberkreises, in welchem Fausts gespenstiges schloss liegt. Helena hatte ihrem knaben alles gestattet, nur das überschreiten eines gewis- sen baches verboten. Als der junge eines festtags die musik drüben hört, er die landleute und Soldaten tanzen sieht, kann er sich nicht zurückhalten, er mischt sich unter sie, bekomt aber händel. Nachdem er viele verwundet, tötet ihn ein geweihtes seh wert. Der zauberer-kastel- lan kann nur die leiche retten. Als Helena in der Verzweiflung die bände ringt, streift sie den ring ab, worauf ihr körperliches sich löst, dass, als sie dem Faust in die arme stürzt, nur ihr leeres kleid in diesen zurückbleibt. Der magische ring war freilich ein wolfeiles märchenhaft'- auskunftsmittel. Mit Helena ist auch ihr söhn ver-
hwunden. Mephisto, der nun wider in seiner eigenen gestalt erscheint, sucht Fau.-t zu trösten und ihm Inst zum besitz einzuflösen. Unzwei- felhaft gehört hierher die äusserung, welche als zur 24. läge gehörig
bezeichnet ist:
Jeder trost ist niederträchtig,
Und Verzweiflung nur ist pflicht.
Dagegen durfte Schmidt nicht die verse hierher ziehen, die ..ad 22." bezeichnet sind:
ENTSTEHUNG VON FAUST II 71
Das haben die propheten schon gewusst.
Es ist gar eine schlechte lust,
Wenn Ohim, sagt die schritt, und Zihim sich begegnen, Denn „ dass grosse Kicken im fragmentarischen gedieht anzunehmen", kann nicht im geringsten erklären, wie zwischen notwendig, wenn sie zusammengehörten, nahe aufeinander folgenden versen eine ganze läge sich befinde. Die stelle kann nur zu der Verzweiflung des Fausl gehören, als die geistere rscheinung der Helena plötzlich verschwunden, und ward wol von Mephisto in bezug aufFausts trübseligkeil geäussert Der Jesaisstelle von den Ohims und Zihims gedenkt Goethes tagebueb schon am 6. juli 1777. Die spräche Paralip. 86 — 90, die Schmidt auf die ältere fassung der „Helena" bezieht (sie stehen mit den versen des Homunculus 6883 fg. auf einem alten quartblatte), scheinen aus der spätem, vor dem abschluss der „Helena" veränderten fassung erhalten zu sein.
Nachdem der Verleger Cotta im april 1800 Goethe glänzende aner- bietungen zur Vollendung des „Faust" gemacht hatte, beschäftigte er sich wider mit der ausfiillung der Kicken des ersten teil« So löste er denn noch am 31. juli „einen kleinen knoten im Faust." Aber als er am 4. august nach Weimar zurückgekehrt war, scheint ihn plötz- lich der gedanke ergriffen zu haben, seine „Helena im mittelalter", von der wir nicht wissen, wie weit ihre ausarbeitung gediehen war, in würdigerer weise auszuführen, sie in ihrem durch Zauberkunst her- gestelten alten palast zu Sparta in begleitung der von Troja mitgebrach- ten dienerinnen auftreten zu lassen, und zwar im glauben, Menelaus (Goethe bediente sich schon hier der für den griechischen trimeter bequemern, aus dem französischen ihm geläufigen form Menelas) habe sie, nachdem er in Sparta gelandet, mit ihren dienerinnen zur Vorbe- reitung eines opfers vorausgesant. Faust selbst, nicht sein teuflischer genösse, hatte die Helena aus der unterweit geholt und Mephistopheles trat nicht als Ägypterin auf, sondern in der hässlichsten gestalt der griechischen sage, als eine Phorkyas. Diese namensform wählte Goethe statt der gangbaren Phorkis, da sie deutlicher ein weibliches wesen bezeichnete, die tochter des Phorkys, während Phorkis von der nebenform Phorkos gebildet ist. Phorkyas solte die furcht vor der räche des Menelas in Helena nähren und dadurch die Übersiedelung in Fausts mittelalterliche bürg einleiten.
Seine absieht dieser neuen bearbeitung der „Helena" in alten trimetern könte Goethe schon am abend des 2. September, unmittelbar vor seiner rückkehr nach Jena, Schiller mitgeteilt haben; wenigstens
72 DÖ'TZER
dürfte die beziehung der beiden eintragungen des tagebuchs vom 4. und 5. September 1800: „Einiges über Faust. — Einiges an Faust", auf die „Helena" nicht ausgeschlossen sein. Jedenfals wüste der freund von diesem neuen plane, als Goethe am morgen des 9. September Wei- mar, wohin er vor drei tagen zurückgekehrt war. wider verliess. Die- sem, mit dem er am 6. und 7. zusammengekommen sein wird, schrieb er den 12. von Jena aus: „Glücklicherweise konte ich diese acht tage [freilich war noch keine volle woche verflossen, seit er Schiller zulezt -prochen] die Situationen festhalten, von denen Sie wissen, und meine Helena ist wirklich aufgetreten. Nun zieht mich aber das schöne in der [tragischen] läge meiner heldin so sehr an, dass es mich betrübt, wenn ich es zunächst in eine fratze verwandeln soll [durch die von der Phorkyas erzeugte furcht vor ihrem im orkus festgehaltenen gatten]. Wirklich fühle ich nicht geringe lust, eine ernsthafte tragödie auf das angefangene [das gelungene erste auftreten Helenas] zu gründen." Nach dem tagebuch verwante er die frühstunden des 12. bis 14. auf diese dichtong. Xoch am 16. schrieb er Schiller: „Mich verlangt zu erfah- ren . wie es in vierzehn tagen aussehen wird. Leider haben diese erscheinungen eine so grosse breite als tiefe, und sie wüirden mich glücklich machen, wenn ich ein ruhiges halbes jähr vor mir sehen könte." Am 21. kam Schiller mit freund Mever zum besuche. Seine hohe be wunderung der mit allem dichterischen feuer Schiller vorge- tragenen trimeter der Helena ermutigte Goethe zur fortsetzung, mit welcher wir ihn an den fünf nächsten tagen beschäftigt sehen. In den Schmidtschen auszügen hinter seiner ausgäbe des ursprünglichen Faust fehlt die eintragnng vom 26.: „Schönes mit dem abgeschmackten durchs erhabene vermittelt. Nachmittag fortschritte an Helena." Leider zogen die „Propyläen" und andere arbeiten ihn von der „Helena" ab und es gelang ihm nicht den einmal abgerissenen faden wider aufzuneh- men. Die im September 1800 gedichteten verse liegen in einer sorg- fältigen abschrift seines damaligen Schreibers Geist vor, mit spätem nachtragen teils von Goethes eigner hand, teils als diktat an John, seinen Schreiber der zwanziger jähre. Sie bilden eine hauptzierde der neuen Weimarischen ausgäbe. Dem September 1800 gehören die verse an 8439 (8438 wurde erst in der allerlezten fassung vorgesezt) — 8586. 8591 — 8603. 8638 — 8778. Die rede der Helena wird hier zweimal durch anapästische Systeme unterbrochen; es folgt eine rede der chor- führerin. die den Unwillen und schrecken bemerkt, mit welchem Helena zurückkehrt; auch in Helenas folgenden bericht redet die chorführerin einmal ein. Als Phorkyas zwischen den tüipfosten erscheint, stimt der
ENTSTEHUNG VON FAUST II 73
chor ein lied an, dessen zweiter teil sieli mit absehen, fluch und dro- hen gegen die Phorkyas wendet. Mit der erwiderung der lezteni schliesst die dichtung. Goethe hatte bei den antiken trimetorn und den scenen des chores bloss an Hermanns werken einen führer. Die hauptmomente des plans seien in Ordnung, hatte er an Schiller ge- sehrieben. Also muss auch die art der Überführung in das mittelalter- liche leben und das ende des sohnes bestirnt gewesen sein. Für den leztern hatte er wol schon den aus den „Mythologischen briefen" von Voss ihm bekanten Damen des Euphorien, des geflügelten sohnes der Helena und des Achilleus, gefunden.
Als er anfangs november zum „Faust" zurückkehrte, arbeitete er nicht mehr an der „Helena", sondern an der brockenscene des ersten teiles, die ihn vom 2. bis zum 8. beschäftigte. Am 14. begab er sieh nach Jena, wo er die dem herzog versprochene Übersetzung von Vol- taires „ Tankred" zu liefern gedachte, aber „die arme poesie wurde von philosophen, naturforschern und konsorten in die enge getrieben", doch fanden sich zur „Helena" einige gute motive, wie er am LS. Schil- ler mitteilte. Vielleicht hatte ihn am 17. die betrachtung von Guille- tieres altem und neuem Lacedämon an die seit zwei monaten ruhende „Helena" erinnert, aber der blocksberg übte eine noch grössere an Zie- hung. Vom 22. november bis zum 24. december nahm ihn „Tankred" größtenteils in anspruch, daneben aber gieng die brockenscene nicht leer aus, zu welcher er mehrere bücher über Zauberei durchgieng. Die reinschrift dieser scene beschäftigte ihn gleich nach der genesung von der ihn dem tode nahe bringenden krankheit des Januars 1801. Dann aber nahmen die lücken des ersten teiles seine ganze dichterische erfln- dung in anspruch, womit es indess sehr langsam gieng. Am 6. april schrieb er von seinem landgute aus an Schiller: in der lezten zeit sei auch etwas an „Faust" geschehen; hoffentlich werde bald in der gros- sen lücke nur der disputationsaktus fehlen (worin Mephistopheles als fahrender schüler auftreten soltc); dieser sei freilich als ein eigenes werk anzusehen, das nicht aus dem Stegreife entstehe. Damals schrieb er wol den entwurf der disputation in ein oktavheftchen und den anfang der ausfuhrung in vierzehn versen auf den gebrochenen bogen eines quartheftes. Aber gerade über diesem disputationsaktus wurde ihm die Vollendung des ersten teiles verleidet. Zwölf tage nach Goe- thes rückkunft, am 27. april, berichtete Schiller an Körner, „Faust" liege noch immer als eine unerschöpfliche arbeit vor Goethe, da dem plane nach das schon gedruckte (168 Seiten von 22 zeilen) höchstens der vierte teil des ganzen sei und das neue noch nicht so viel als
l'l NTZER
jenes betrage, also noch mehr als die hälfte fehle. Gar manches nahm den noch Leidenden dichter vor der hadereise nach Pvrmont in An- sprach. Schillers hofhung, dass im februar und märz 1802, wo Goethe
zu Jena die in wüstem zustande hinterlassene bibliothek Büttners zu ordnen hatte, der bücherstaub, mit dem poetischen geist geschwängert, ihn zu dem alten gespenstigen doktor zurükföhren werde, gieng so wenig in erfäüung, dass „die lustige und gesellige epoche", die er in Jena traf, und die lyrische Stimmung des frühlings ihn trieben, sich von dem düstern mittelalterlichen stoff in heiterer weise ganz loszu- _ -n. Damals entstanden , wenn nicht alles trügt! die beiden neuent- deckten epiloge, die den 17**7 gedichteten prologen, der „Zueignung" und dem „Vorspiel auf dem theater", in umgekehrter folge entsprechen. Diese merkwürdigen dichtungen, die unter den Überschriften „Abkün- digung" und „Abschied" auf zwei besondern blättern der dreissigsten Lage der gesamthandschrift des „Faust" beigelegt, aber als aufgegeben später durchstrichen wurden, sind von Schmidt im Goethe - Jahrbuch IX. 5 fg. und band 151, 344 fg. 2, 188 mitgeteilt. Kaum begreiflich i>r es, wie Schmidt sich bereden konte, sie seien vielleicht schon ende 17'. '7 entstanden. Der einzige ausgesprochene grund ist, dass Goethe am 25. december 1797 an Hirt schrieb, er sei beschäftigt, seinen „Faust" zu endigen, wünsche aber zugleich sich von aller nordischen barbarei loszusagen. Und in diesem augenblick, wo er daran dachte, einen grossen teil des nächsten Jahres der Vollendung des „Faust" zu widmen, soll er fähig gewesen, dem barbarischen Stoffe (über das barbarische desselben hatte er sich auch schon früher gegen Schiller an rochen) den laufpass zu geben. Das entschiedene aufgeben der
Faustsage, die ihn so lange aufgehalten, an der er sich also nicht wei- ter abarbeiten will, ist die notwendige Voraussetzung dieser humoristi- schen epiloge. Die an erster stelle eingeheftete abkündigung lautet:
Den besten köpfen sei das stück empfohlen,
Wir möchten s ^erne widerholen,
Allein der beifall gibt allein gewicht.
Vielleicht dass sich was bessres freilich fände. —
Des menschen leben ist ein episches gedieht: 5
Es hat wol einen anfang, hat ein ende,
Allein ein ganzes ist es nicht.
Ihr herren, seid so gut und klatscht nun in die hände. ä hmidt gibt diese verse nicht in der ursprünglichen fassung, sondern in der Umbildung, zu welcher Goethe, als er sie in den zwanziger jahren widerfand und neu abschreiben liess, durch einen unglücklichen,
ENTSTEHUNG von FAUST II
ihren Schwerpunkt verrückenden einfall sich verleiten liess, and sie so dem zweiten teile der grossen dichtung beilegte. Damals schob er vor _ den vers ein: „Der Deutsche Bitzl verständig zu gericht", was dann die änderung von Wir in Und zur folge hatte. I1 er zusatz ist anpassend, da vorher von den besten köpfen die rede ist Die ein- schiebung wurde dadurch veranlasst, dass Goethe «•inen reimvers auf v. 3 vermisste, der aber nicht durchaus nötig ist, ja die reimform völlig entstelt. Ähnlich folgt im „Divan" Viil, L2 nach einem reimpaare ein system von sechs versen in der Ordnung abbaba. Schmidt aenl die durch den unglücklich eingeschobenen reimvers entstandene anform „eine stanze mit einem selbständigen schlussruf", die jedenfals viel schlimmer ist als dass auf ein reimpaar statt eines, zweier oder auch mehrerer vierversigen Systeme, wie es häufig sich findet, ein aus drei reimpaaren bestehendes sechsversiges folgt, statt 3 hatte Goethe zuerst jhrie- ben „Wenn nicht was neues widerspricht", dieses aber gleich als an hörig gestrichen. In 5 hatte der Schreiber statt episches ezi ähnliches. Diesen argen hörfehler des, wie häutig, das fremdworl misverstehenden Schreibers hat Schmidt beibehalten, obgleich die v< 5 — 7 in Goethes eigner handschrift auf einem foliobogen stehn, der spruchverse aus dem ersten, wo] auch aus dorn zweiten fcei] enthält, and dort deutlich episches zu lesen ist, wie 6 einen und ein statt des vom Schreiber gesezten seinen und sein. Als Goethe die abkündigui später durchsah, überlas er das widersinnige ähnlich« fcelte richtig
ein her, liess aber aus versehen seinen weg statt einen zu schrei- ben. AVer viel hat drucken lassen, weiss, dass man bei der korrektur verdrucktes stehen lässt, weil man nicht den gesezten fehler liest, sondern die vorschwebende richtige fassung der handschrift. woraus sich auch manche entstellungen des Goetheschen b I erklären, die leider auch die Weimarische ausgäbe treu fortpflanzen zu mü glaubt. Ein ähnliches gedieht ist reiner ansinn, da ähnlich ganz beziehungslos stände und keine veranlassung war. das menschenleben ein gedieht zu nennen als in ih~v vergleichung mit dem epos, auf des- sen von Wilhelm Schlegel aufgebrachte theorie (vgl. den brief an Schil- ler vom 28. april 1797) launig angespielt wird bei der entschuldigung, dass sein ,,Faust" (auch in der hier als schon geschehen angenommenen Vollendung) ebensowenig ein ganzes sei wie das menschenleben.
So wenig wie Schmidts kritische behandlung können wir hier seine auffassung und erklärung billigen. Wenn Goethe die „Abkündigui und den „Abschied" noch spät abschreiben liess und einer Fernschrift des abschnittes von Fausts tod beilegte, so schliesst er daraus, dass
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dieser „noch bis in die lezte zeit diesen ausklang erwogen hat", wobei ich mir eigentlich gar nichts denken kann. Die zur erklärung bei- j fügte bemerkung, die „Abkündigung" umschreibe das plaudite der alten komödie. berücksichtigt .-eltsamerwoise nur den lezten vers, und zwar ungenau genug. Und bei der aufforderung zum klatschen wer- den dem dichter nicht weniger als die römischen komikor Shakespeares epiloge zum ..Sturm", „Sommernachtstraum" und „Heinrich VIII." vorgeschwebt haben. Auch war zu bemerken, dass Goethe sich nicht an die Zuschauer überhaupt wendet, sondern an die herren, wie umge- kehrt in dem von einem tanzer gesprochenen epilog zum zweiten teil
n Shakespeares ..Heinrich IV. " der darin auftretende tänzer die Ver- zeihung der damen wegen des neulich durchgefallenen Stückes schon gewonnen zu haben behauptet und dasselbe dann auch von den herren erwartet, da diese in solcher versamlung diesen folgen müssen. Die ..Abkündigung" ist. woran Schmidt wunderbar gar nicht ^gedacht, eben eine abkündigung, im gegensatze zu der auf dem deutschen theater lange zeit gangbaren ankündigung des am nächsten theaterabende zu _ benden Stückes durch einen Schauspieler oder den Vorsteher (einzelne _ - -«haften hatten ihren eigenen ankündiger, annonceur), wobei zuweilen ein anderes stück, besonders die widerholung des eben ge- spielten von den Zuschauern verlangt wurde, (was in Berlin bei Lessings ..Minna von Barnhelm" eine reihe abende hintereinander geschah), in Hamburg einmal, als Schröder ein anderes stück ankündigte, die wider- holung von Schillers eben aufgeführtem Trauerspiel „Kabale und liebe'c gefordert wurde. Erst wenn man sich dieser sitte erinnert, versteht man lies launige ..abkündigung." Der direktor (denn diesen dür-
fen wir uns auch hier denken) möchte das stück als ein bedeutendes den herrn kunstkermern empfehlen, muss aber auf seinen wünsch, es am nächsten abend widerzubringen, verzichten, da ihm der gewünschte beifall nicht zu teil geworden, was freilich seinen guten grund haben möge. Da kein rechtes ganzes sei, entschuldigt er mit der gleichen
beschaffenheit des menschenlebens, und so hoffc er. dass die als die besten köpfe angesprochenen herren die gute haben werden, schliess- lich doch in die bände zu klatschen. Die sehen <\<> redners spricht sonders in v. 3 aus: das ganze j.r von bester launc eingegeben, doch fehlt den versen die lezte band, welche die Ungleichheit mehrerer
hoben haben würde. Jm gründe stimt unsere „abkündigung" mit dem durchaus humoristisch gehaltenen, vielversprechenden Vorspiel auf dem theater. da es nicht zu bezweifeln steht, dass der dichter dort sich keineswegs den forderungen des direktors fügt, er zulezt bloss still-
f.ntstkhünTt von paust ii 77
schweigt, da er nur ohne rücksicht an!* Wirkung seinem eigenen «Iran-.' folgen kann.
Wenden wir uns von der „abkündigung" zum „abschied", von dem die dreizehn ersten verse der Schreiber Geist, die folgenden Goethe
selbst geschrieben hat
Am ende bin ich nun des trauerspieli Das ich zulezt mit bangigkeil rolfuhrt, Nicht mehr vom dränge menschlichen gewühli . Nicht von der macht der dunkelheit gerührt
Wer schildert gern den wirwar des gefiihL . 5
Wenn ihn der weg zur Klarheit aufgeführt! und so geschlossen sei der barbareien Beschränkter kreis mit seineu Zaubereien.
Und hinterwärts mit allen guten schatten Sei auch hinfort der böse geist gebaut, LO
Mit dem so gern sich jugendträume gatten, Den ich so früh als freund und feind gekaut. Leb1 alles wol, was wir hiemit bestatten, Nach Osten sei der sichre blick gewant Begünstige die muse jedes streben, 1 5
Und lieb' und freundschaft würdige das leben1.
Denn immer halt ich mich an Eurer seit«'. Ihr freunde, die das leben mir geselt; Ihr fühlt mit mir. was einigkeit bedeute, Sie schaft aus kleinen kreisen weit in weit: 20
Wir fragen nicht in eigensingem streit Was dieser schilt, was jenem nur gefält, Wir ehren froh mit immer gleichem mute Das altertum und jedes neue gute.
0 glücklich, wen die holde kirnst in frieden Mit jedem frühling lockt auf neue flur! Vergnügt mit dem, was ihm ein gott beschieden, Zeigt ihm die weit des eignen geistes spur. Kein hindernis vermag ihn zu ermüden: Er schreite fort, so will es die natur.
1) Ursprünglich hatte Goethe, als er sich zur fortsetzung getrieben fühlte,
v.14 geschrieben: _Auf neue scenen ist der geist gewant". und die stanze geschlos- sen: rDem neuen triebe, diesem neuen streben Begegne neue kunst und neues leben."
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Und wie des wilden Jägers braust von oben 30
Des zeitengeists gewaltig freches toben. Nicht stanze für stanze, aber in allen Hauptpunkten bildet der gleich viel*' enthaltende „abschied" den entschiedensten gegensatz zur „Zueignung." Bogint jene mit dem innigen dränge, die gestalten der alten, ihn an seine Jugendzeit ahnungsvoll erinnernden sage von neuem zu beschwören, so ist er jezt herzlich froh den „Faust", der ihn mit 5< in« in gewaltigen ringen und den schauern des uns verschlossenen jenseits früher so mächtig ergriffen hatte, jezt zu ende geführt zu haben und von diesem den geist beschränkenden zauberkreis befreit zu sein. Die wideraufhahme der Faustsage hatte freilich mit der erinne- rung an die frühere Jugendzeit und das glück von erster liebe und freund sehaft auch den bittern sehmerz um den frühen vertust so man- cher guten seele und die klage in ihm erregt, dass er des gemütlichen beifals der nächsten sich nicht mehr zu erfreuen habe, da nur eine kalte menge die fortsetzung seiner dichtung vernehmen werde. Dieser zu entschiedener Ungerechtigkeit gegen die gegenwart ihn hinreissen- den leidenschaftlichen seimsucht der beiden mitlern Strophen der „Zu- eignung" entspricht jezt der feste entschluss, sich von allem vergeb- lichen schmachten nach den hingeschiedenen, besonders aber vom düsteren versenken in die nachtseite der natur abzuwenden, das ihn einst so wonnig ergriffen, aber auch seinen blick getrübt, seine tatkraft gehemt hatte. Auf ewig entsagt er jenem dunklen sinnen und wendet sich dem lichte zu (Ex Oriente lux), vom wünsche begeistert, dass neben der sein leben beherschenden muse liebe und freundschaft ihn stets begleiten mögen, die ihn mit manchen in treuer eintracht zu ihm stehenden, alles schöne und gute froh verehrenden seelen verbinde. hloss die „zueignung" mit dem ihn zu tränen hinreissenden und der genwart entrückenden dränge nach den hingeschiedenen, so empfin- det er jezt den vollen segen, frei dem triebe der ihn zu neuer, frischer tätigkeit befeuernden dichternatur zu folgen, worin ihn die wilde jagd des all*- umstürzenden Zeitgeistes nicht stören soll. So hofnungsfreu- dig klingt die Seligkeit aus, dem düstern mittelalterlichen zaubertreiben entrückt zu sein. Von seiner schweren krankheit jezt voll genesen, fohlt er sieh zu feurigem dichterischen schaffen getrieben an der seite des ihm verbündeten ebenbürtigen Schiller; statt des ihn so lange drückenden gespenstigen doktors hatte ihn die in der neuesten zeit spielende, die sichere beruhigung der aufgeregten staatlichen weit dar- stellende grosse trilogie der „natürlichen tochter" ergriffen, von der nur der erste anfang vorlag, deren Vollendung die gespannteste zusam-
PSTEBTI tfQ VON FAUST II 7!'
menfassung seiner kraft forderte, and er ahnt»1, dass der geist ihn aoch
zu manchen andern dichtungen treiben werde.
In den beiden nächsten jähren war an eine weiterfuhrung des „Faust'* nicht zu denken, mochte auch einmal die rede auf diesen kommen, wie nach »lein tagebuch am abende <\r* 31. Oktober L803 bei Schiller nach dem „Teil" auch der ruhenden mittelalterlichen dichtung gedacht wurde. Als er gegen ende des Jahres L804 an eine neue gesanitausgabe seiner werke dachte, trat ihm auch die Vollendung <\v* ersten teiles des „Faust M nahe, welche das bedeutendste neu,' in die- ser bilden, ihr besondern glänz verleihen werde. Ersl nach Schillers tode kam der vertrag mit Cotta zu stände, in den monaten märz und april 1806 wurde der erste teil abgeschlossen. Cotta selbst nahm im mai die handschrift zum drucke mit, aber die traurigen politischen zeiten verzögerten das erscheinen der den „Faust" bringenden lieferung bis ostern 1808. Selbst die jezt dem „Faust" in erhöhtem masse zu- gewante algemeine aufmerksamkeit konte den dichter nicht bestimmen, an die ungeheure aufgäbe des wie ein kaum zu bewältigender Schacht vor ihm liegenden zweiten teiles zu gehen, wenn dieser auch keines- wegs die ausdehnung erhalten solte, die ihm die spätere bearbeitung gab. Freilich kam noch vor diesem erscheinen des vollendeten ersten teiles in freundeskreisen , wo er denselben vortrug, die rede zuwei- len auch auf die erwartete fortsetzung, wie er einmal in Jena am 13. märz 1808 sich im ak'emeinen über den inhalt des /weiten teil
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aussprach, aber die ausführung desselben schien ihm anmöglich. AU er am ende des Jahres 1816 mit dem vierten bände von „Dichtung und Wahrheit" beschäftigt war, fasste er den entschluss, darin ein Schema des zweiten teiles mitzuteilen, obgleich dieser nicht (Ut zeit angehörte, bis zu welcher die leben sbeschreibimg führte: er wolte mit dieser Veröffentlichung nur die fortsetzung ablehnen. Aber jener vierte band selbst stockte. Mit dem jungen Schlesier Karl Ernst Schubarth, der sich ganz an ihm herangebildet hatte, sprach er ende September 1820 über den aufgegebenen zweiten teil. Vier jähre späte)' legte er Eckermann die handschrift des unvollendeten vierten bandes von ..Dich- tung und Wahrheit" vor, in welcher sich das Schema des zweiten teile- von 1816 fand. Dieser äusserte dem dichter sein bedenken, ob die- selbe mitzuteilen sei, worüber man wol erst dann werde entscheiden können, wenn man mit rücksicht auf die fertigen bruchstücke sich ent- schieden habe, ob jede hofnung auf vulendung des zweiten teiles auf- zugeben sei. Aber nicht dieses bedenken bestirnte den dichter, sich der seit länger als zwanzig jähren aufgegebenen dichtung wider zuzu-
DÜNTZBB
I'ikI wie des wilden Jägers brausl von oben 30
Des zeitengeists gewaltig freches toben. Nicht stanze für stanze, aber in allen hauptpunkten bildet der gleich viele enthaltende „abschied" den entschiedensten gegonsatz zur „Zueignung." Begint jene mit dem innigen dränge, die gestalten der alten, ihn an seine Jugendzeit ahnungsvoll erinnernden sage von neuem zu beschwören, so ist er jezt herzlich froh den „Kaust", der ihn mit
Inera gewaltigen ringen und den schauern des uns verschlossenen jenseits früher so mächtig ergriffen hatte, jezt zu ende geführt zu haben und von diesem den geist beschränkenden zauberkreis befreit zu sein. Die wideraumahme der Faustsage hatte freilich mit der erinne- rung an die frühere Jugendzeit und das glück von erster liebe und freundschaft auch den bittern schmerz um den frühen Verlust so man- cher guten seele und die klage in ihm erregt, dass er des gemütlichen beifals der nächsten sieh nicht mehr zu erfreuen habe, da nur eine kalte neu-'- die fortsetzung seiner dichtung vernehmen werde. Dieser zu entschiedener Ungerechtigkeit gegen die gegenwart ihn hinreissen- den leidenschaftlichen Sehnsucht der beiden mitlern Strophen der „Zu- eignung'* entspricht jezt der feste entschluss, sich von allem vergeb- lichen schmachten nach den hingeschiedenen, besonders aber vom düsteren versenken in die nachtseite der natur abzuwenden, das ihn • inst so wonnig ergriffen, aber auch seinen blick getrübt, seine tatkraft gehemt hatte. Auf ewig entsagt er jenem dunklen sinnen und wendet sich dem lichte zu (Ex Oriente lux), vom wünsche begeistert, dass neben der sein leben beherschenden muse liebe und freundschaft ihn
ts begleiten mögen, die ihn mit manchen in treuer eintracht zu ihm
ehenden, alles schöne und gute froh verehrenden seelen verbinde.
3 bloss die „Zueignung" mit dem ihn zu tränen hinreissenden und der
<renwart entrückenden dränge nach den hingeschiedenen, so empfin- det er jezt den rollen segen, frei dem triebe der ihn zu neuer, frischer tätigkeit befeuernden dichternatur zu folgen, worin ihn die wilde jagd des alles umstürzenden Zeitgeistes nicht stören soll. So hofnungsfreu- dig klingt die Seligkeit aus, dem düstern mittelalterlichen zaubertreiben entrückt zu sein. Von seiner schweren krankheit jezt voll genesen, fühlt er Bich zu feurigem dichterischen schaffen getrieben an der seite des ihm verbündeten ebenbürtigen Schiller; statt des ihn so lange drückenden gespenstigen doktors hatte ihn die in der neuesten zeit spielende, die sichere beruhigung der aufgeregten staatlichen weit dar-
llend* trilogie der „natürlichen tochter" ergriffen, von der
nur der erste anfang vorlag, deren Vollendung die gespannteste zusam-
F.NTSTEHTJNG VON FAUST II 79
menfassung seiner kraft forderte, and er ahnte, dass der geisl ihn aoch zu manchen andern dichtungen treiben werde.
In den beiden nächsten jähren war an eine weiterfuhrung dc> „Faust'1 nicht zu denken, mochte auch einmal die rede auf diesen
kommen, wie nach dem tagebuch am abend. • des 31. Oktober 1803 bei Schiller nach dem „Teil" auch der ruhenden mittelalterlichen dichtung gedacht wurde. Als er gegen ende iU^ Jahres 1804 an eine neue gesamtausgabe seiner werke dachte trat ihm auch die Vollendung des ersten teiles des ..Kaust" nahe, welche das bedeutendste neu.' in die- ser bilden, ihr besondern glänz verleihen werde. Erst nach Schillers tode kam der vertrag mit Cotta zu stände, in den monaten märz und april 1806 wurde der erste teil abgeschlossen. Cotta selbst nahm im mai die liandschrit't zum drucke mit, aber die traurigen politischen zeiten verzögerten das erscheinen der den „Faust" bringenden liefern m: bis ostern 1808. Selbst die jezt dem „Faust" in erhöhtem masse zu- gewante algemeine aufmerksamkeit konte den dichter nicht bestimmen, an die ungeheure aufgäbe des wie ein kaum zu bewältigender Schacht vor ihm liegenden zweiten teiles zu gehen, wenn dieser auch keines- wegs die ausdehnung erhalten solte, die ihm die spätere bearbeitung gab. Freilich kam noch vor diesem erscheinen des vollendeten ersten teiles in freundeskreisen , wo er denselben vortrug, die rede zuwei- len auch auf die erwartete fortsetzung, wie er einmal in Jena am 13. märz 1808 sich im alareineinen über den inhalt des zweiten teiles
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aussprach, aber die ausfuhrung desselben schien ihm unmöglich. Als er am ende des Jahres 1816 mit dem vierten bände von „Dichtung und Wahrheit" beschäftigt war, fasste er den entschluss, darin ein schema des zweiten teiles mitzuteilen, obgleich dieser nicht der zeit angehörte, bis zu welcher die Lebensbeschreibung führte; er Avolte mit dieser Veröffentlichung nur die fortsetzung ablehnen. Aber jener vierte band selbst stockte. Mit dem jungen Schlesier Karl Ernst Schubarth, der sich ganz an ihm herangebildet hatte, sprach er ende september 1820 über den aufgegebenen zweiten teil. Vier jähre später legte er Eckermann die handschrift des unvollendeten vierten bandes von „Dich- tung und Wahrheit" vor, in welcher sich das schema des zweiten teiles von 1816 fand. Dieser äusserte dem dichter sein bedenken, ob das- selbe mitzuteilen sei, worüber man wol erst dann werde entscheiden können, wenn man mit rücksicht auf die fertigen bruchstücke sich ent- schieden habe, ob jede hofnung auf volendung des zweiten teiles auf- zugeben sei. Aber nicht dieses bedenken bestirnte den dichter, sich der seit länger als zwanzig jähren aufgegebenen dichtung wider zuzu-
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wenden, sondern die beabsichtigte gesamtausgabe Lezter band, welche er durch die ausfuhrung der „Helena**, (leren anfang ihm so wunder- bar gelungen war. einen besondern wert zu geben hefte; und zwar
- »lte diese ganz unerwartet gleich in der ersten lieferung die weit überraschen Die schwierigkeil dieser aufgäbe entgieng ihm nicht; aber da es ihn anzog, in der Verbindung der Helena mit Faust sin- bildlich den streit zwischen den klassikem und den romantikern zu
- thlichten, so gieng er mit dem ihn oft in entscheidenden fällen begei- sternden mute an die ausführumr. Diese »-elans: ihm im laufe der bei- den nächsten jähre über alle erwartung, so dass seine „Helena" nach dem ausspruche von Wilhelm von Humboldt ,,etwras eigentümlich neues" wurde. ..\<m dem man noch keine idee hat, für das man keine regel und kein gesetz kent, das aber sich im höchsten poetischen leben fort- bewegt" Ohne hier auf die ungemein merkwürdige ausbildung desselben einzugehen, gedenken wir nur der besondern Schwierigkeit, die das ende des Euphorien machte. Das im ursprünglichen plan angenom- mene, er sei gefallen, weil er den zauberkreis verlassen, konte Goethe bei der würde, die er seiner dichtung gegeben, nicht mehr brauchen. Dass ihn später der fall Missolonghis dazu brachte, hier der aufopferung des dämonischen englischen dichters ein denkmal zu setzen, ist bekant. Aus seinem eigenen munde wissen wir, dass er Euphorions tod früher
luf verschiedene weise, einmal auch recht gut, ausgebildet" gehabt. In einem der erhaltenen entwürfe lesen wir bloss von Euphorions „kunststücken und tod": ein anderer sezt dazwischen noch „freudige eitelkeittt, wonach also unbedachte eitelkeit ihn zu gründe richten solte. Das unmittelbar darauf folgende: „Aufgehobener zauber" bezieht sich nicht etwa auf das verlassen <](.'> zauberkreises, sondern darauf, dass durch den tod des sohnes auch das durch zauber vermittelte neue Leben der Helena selbst zu ende ist. Zu einer früheren fassung des endes - Euphorion scheinen mir die verse auf einem blatte zu gehö- ren, welches die -teile des mummenschanzes beim anrücken des wil- den hei ntliält, weshalb sie Schmidt auf die feuer quelle bezogen hat (Paralip. 1 15):
ht ihr die quelle da,
Lustig sie sprudelt ja,
Wie ich noch keine sah,
Kostete gern,
die ganz dem tone des mit ungestüm vordringenden knaben entsprechen würden. Man könte denken, dieser habe, immer weiter fortgetrieben, im wasser den tod finden sollen, zu dem es ihn von der quelle hin-
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gezogen, während er nach der spätem fassung die höchsten gipfe] ersteigt. Möglich ist, dass, wie ich Hingst vermutet habe, Goethe für Euphorion, ehe er ihn wie Byron der begeisterung für Griechenlands Freiheit zum opfer fallen liess, sich auch den ausgang gedacht hat, dass er in die weite weit fliegen sollt' — zur andeutung, dass die dichtung eine weltgabe sei, die, wie sie allerwärts entsteht, so auch iiberalhin sieh verbreitet. Dann wurde Eelena aus schmerz über die trennung von ihm aus dem leben geschieden sein.
Da Goethe sieh vor dem erscheinen der „Helena" über ihre Stel- lung im zweiten teile aussprechen wolte, so nahm er bereits am 8. november 1826 den vor zehn jähren geschriebenen plan des zweiten teiles wider vor und diktierte mit benutzung desselben die einleitung zur „Helena" die „ antecedentien a derselben, wie er sie auch nante, worin der Inhalt des ersten aktes kurz berührt, der ^'> zweiten bis zur gewährung der an Proserpina gerichteten bitte des Faust ausführ- lich erzählt wurde. Am 21. deccmbcr schloss er sie ab, doch bald entschied er sich, sie nicht drucken zu lassen; ohne zweifei, weil er der hofnung nicht entsagen wolte, die beiden der Helena vorhergehen- den akte noch zu stände zu bringen. Die wirklich in „Kunst und altertum" gedruckte kurze ankündigung der „Helena" bemerkt nur, vor der band solle es „unausgesprochen bleiben, wie es nach manm faltigen hindernissen den bekanten magischen gesellen geglückt, die eigentliche Helena persönlich aus dem orkus ins leben heraufzuführen."
Schon ehe er diese kürzere ankündigung am lO.juni 1826 abschlo hatte er die ausführung des ersten aktes des zweiten teiles einstlich erwogen. Es war ein gewaltiges werk, das er übernahm, aber die volle freude über das gelingen der „Helena" begeisterte ihn dazu: galt es ja die beiden ersten akte und wo möglich auch die beiden lezten zu ebenbürtiger dichterischen ausbildung zu bringen, jeden derselben zu einem grossen, selbständigen, gehaltreichen, von reichen allegorien durchzogenen, in sich abgerundeten ganzen zu erheben. Das tagebuch bezeichnet von jezt an die fortsetzung d< s ..Faust" als „hauptgeschäft", als „hauptwerk." Schon am 18. mai 1827 hat er das hauptgeschäft „auf den rechten fleck gebracht." Seit dem 12. hatte er wider ein- mal seinen garten am parke bezogen, da er auf eine badereise ver- zichtete. Aus dem briefe an Zelter vom 24. ergibt sich, dass ihn damals der anfang des vierten aktes als einleitung zu der schon langst ausge- führten darstellung von Fausts ende beschäftigte. Darauf beziehen sieh demnach auch die ein tragungen vom 21. bis zum 30., die vom „sche- matisieren", vom „regulieren der vorliegenden angeführten teile", vom
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXIH. O
dDntzbb
„behandeln des Schemas, anschliessend an das schon vollendete" und von „einigen poetischen bedenken" sprechen. Erst am 9. juni kehrte er nach Weimar zurück, wo ihn bis zum 14. ein besuch des als natur- forscher bedeutenden grafen Sl srnberg erfreute. Gleich darauf muss er den entschluss gefasst haben, den anfang des ersten aktes auszuführen, r jezt ein weitglänzendes portal erhalten solte, wovon die entwürfe keine spur zeigten. Wenn Goethe am 21. „einiges" an dem für den „Faustu bestirnten bände der ausgäbe lezter band machte, so muss es -ich um dm anfang des zweiten teiles gehandelt haben; doch dauerte einen vollen monat, ehe er sich diesem anhaltend widmete. Schon am 1. Oktober las er Eckermann die zweite scene vor; am 1. Januar 1828 schloss er das karneval ab. über das er sich am 8. november mit Eckermann unterhalten hatte: am 14. brach er den zunächst mit- zuteilenden anfang des zweiten teiles mitten in der scene im lustgarten ab. doch beschäftigte ihn die durchsieht noch länger als eine woche. Schweigt auch das tagebuch zunächst vom „Faust**, so ergibt sich doch, da— er weiter daran fortgearbeitet hat, aus der klage an Eckermann vom 11. märz, dass es mit der fortdichtung äusserst langsam gehe, er im allerglücklichsten falle jeden morgen nur eine seite zu stände bringe. Von Dornburg au> vertraute er Zelter am 26. juli, es komme nun darauf an. den ersten akt zu schliessen, der bis auf das lezte detail erfunden sei; nur der ihn tief erschütternde tod des grossherzogs habe dessen Vollendung gehindert. Als er am 11. September von Dornburg zurückgekehrt war. nahm ihn zunächst die neue bearbeitung der „wan- rjahre" in ansprach. Doch bald kehrte er zum ,,Faust" zurück, des- o zweiter akt ihm so sehr am herzen lag, dass er, obgleich das gebuch vom 29. September bis zum 7. februar 1829 fortwährend des „ hauptgeschäfts " gedenkt, selbst den nächsten freunden nichts davon rriet Zelte]1 erfuhr auf seine anfrage nur, dass diese ihn bestimmen werde, das zunächst an den anfang sich anschliessende baldmöglichst anzufertigen. Erst am 1. december vertraute er Riemer unter anderem neuen auch Faustische scenen. Damals scheint er sich zur durchsieht des fertigen entschlossen zu haben. Eckermann hörte am 6. und 16. december die beiden eisten scenen des zweiten aktes, am ende des monats aus dem eisten die vom papiergeld und von der erscheinung des Paris und der Helena, wie am 10. Januar 1830 die unterdessen fertig gewordene in der finstern gallerie, etwa zehn tage >päter endlich auch den anfang der klassischen Walpurgisnacht. Im juni war der selben erobert und die Kicken ausgefült; doch noch im december beschäftigte ihn die nacharbeit Erst am 20. februar 1831
ENTSTEHUNG 70N PAUST II 83
wurden die drei ersten akte zusammengeheftet, was ihn zur Vollendung
des Schlusses reizen solte.
Unter den neuen erfindungen des mit allegorischen beziehungen reich ausgeschmükten ersten aktes gedenken wir nur der mütter, welche die heraufruhrung von Schattenbildern Längs! hingeschiedener personen dramatisch veranschaulichen solten. Wir hörten bereits, dass die betref- t'ende scene erst nach der geistererscheinung selbst fertig wurde. Ein paar stellen aus frühem versuchen dieser seene haben sieh erhalten (Paral. 118. 120 fg.). Bemerkenswert sind die verse:
Und wenn du rufst, sie folgen mann für mann, Und fraun für traun, die grossen wie die schönen, Und bringen her so Paris wie Helenen, da hier angenommen wird, Faust müsse die beschworenen geister beim namen rufen, ehe er den dreifuss an die oberweit bringe. Dies weicht ab von 6297 fg., welcher stelle aber die wirkliche beschwörung 6427 fg widerspricht, in welcher bloss die mütter angerufen werden. Ein ver- sehen ist es, wenn E.Schmidt die worte (Paral. 119): „Nicht nacht, nicht tag, in ewger dämmerung. — Es war und will ewig sein" zu 6214 zieht und dem Mephisto zuschreibt; vielmehr waren sie zur beschwö- rung des Faust bestirnt (vgl. 6429) und solten nicht auf die mütter, sondern auf die „bilder des lebens" gehen. Die stelle, auf welche Scberer die behauptung eines ganz andern ursprünglichen plans der dich- tung gründete, ergibt sich jezt als spätere einschiebung, wie E. Schmidt zugibt.
Viel bedeutender war die Umgestaltung, welche die ursprünglich von Mephistopheles übernommene herbeischaffung der wirklichen Helena erleiden muste, da diese nach der weiten ausfuhrung des dritten akt eine dieser ebenbürtige darstellung dringend forderte. Freilich lag ein ausführlicher entwurf derselben im Schema vor, dessen erste fassung vom november 1826 datiert, im december erweitert umgeschrieben wurde; aber noch ehe er an die ausführung gieng, erkante er, dass dieser wunderliche einfall jezt einer wesentlichen umdichtung bedürfe. Faust solte jenem zufolge nach dem unglücklichen ausgange der gei- stererscheinung an einer kirchhofmauer, in träume versunken, liegen und, aus ihnen erwachend, einen ..grossen monolog zwischen der wahn- erscheinung von Gretchen und [dem ihm vorschwebenden bilde der] Helena" halten. Aber die leidenschaft zu dieser kann er nicht bezwin- gen. Mephistopheles, dem er sein anliegen mitteilt, sucht ihn nach gewohnter weise durch allerlei Zerstreuungen zu beschwichtigen. So führt er ihn denn auch in das Laboratorium Wagners, der eben ein
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chemisch menschlein hervorzubringen sucht Zu der Verwandlung des in pergamenten wühlenden Wagner in einen chemischen Laboranten hatte ihn wahrscheinlich ein Würzburger philosoph dieses namens
bracht, der behauptet haben solte, es müsse gelingen, menschen durch krystallisation zu bilden. Auch „verschiedene andere auswei- chungen und ausfluchte" solte Äfephistopheles versuchen. Vergleichen wir damit die einen monat spatere ankündigung. Aueli hier erwacht Faust (ein ort ist nicht angegeben) aus träumen, die sich aber „vor den äugen des Zuschauers sichtbar umständlich begeben", was um so weniger jezt an der stelle war, als der erste akt mit einem so bedeu- tenden g - rchore um den schlafenden begonnen hatte. Mephistophe- redet ihn, gleichsam im vorbeigehen Wagners laboratorium zu
suchen, der sich rühmt, eben ein chemisches männchen hervorge- bracht zu haben, das gleich seinen leuchtenden glaskolben zersprengt und als bewegliches wolgegliedertes Zwerglein auftritt. Yon einer mit- wirkung des Mephisto dabei ist keine rede. Nach Paracelsus sollen aus solchen homuneuli mit der zeit leute von wunderbaren geheimen kentnissen werden. Der Wagnersche ist ein algemeiner historischer
• ltkalender. und so behauptet er, eben sei die nacht, in welcher einst die Schlacht von Pharsalus vorbereitet worden. Da Mephistopheles dies mit bezug auf die Zeitbestimmung der gelehrten Benediktiner (in der
irt de verifier les dates") leugnet, zieht er sich nicht nur den Vorwurf zu. dass der teufel sich auf mönche berufe, sondern er muss
h auch den weiteren beweis seiner hervorragenden kentnis gefallen lassen, das- dort zugleich das fest der klassischen Walpurgisnacht gefeiert werde, wie es seit anbeginn der mythischen zeit immerfort gewesen; ja dies sei nach dem geheimen zusammenhange der dinge eigentlich _rund jener blutigen, die freiheit der klassischen weit vernichtenden Schlacht „Alle vier entschliessen sich, dorthin zu wandern." An eine verständige begründung ist nicht gedacht; das ganze ist eine phanl :he, dazu ins komische schlagende dichtung. Wagner ver-
si auch bei aller eile nicht, eine phiole mitzunehmen, um hier und da. wenn - glücke, die zu einem ehemischen weiblein nötigen ele- mente zusammenzufinden. Das glas steckt er in die linke, das che- mi männlein in die rechte brusttasche. Unter solcher leitung ver-
trauen sieh die reisenden dem zaubermanteL Das lächerliche wird noch dadurcl . . \ dass sie bei der aus Lucan bekanten hexe Erich tho, welche von Sextus Pompejus über den ausgang der Schlacht bei Phar-
lus befragt wurde, den kleinen Eriehthonius finden, von dessen ent-
■hung durch die Zudringlichkeit des Vulean eine wüste sage bericli-
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feet wird, aus der einst Raphael ein anziehendes bild schuf. Die weder Bachlich noch etymologisch begründete Verbindung beider führt zu einer seltsamen spotdichtung. Erichtho muss den kleinen, da er in folge sei- ner entstehung übe] zu fiisse ist, auf den arm nehmen, und dieser, der zu Honiunculus sich Leidenschaftlich hingezogen fühlt, ruht nicht, bis jene seinen geistigen halbbruder auf den andern arm genommen, was den Mephisto zu bösartigen glossen veranlasst. Diese wunderliche erfindung, bei welcher der Übermut des dichters Bich die zügel hatte schiessen lassen, ohne an die möglichkeil dramatischer ausführung zu denken, muste nicht allein von allem possenhaften gereinigt werden, sondern auch eine geistige beziehung erhalten. Wagner seihst durfte an der bildung des Honiunculus nur scheinbaren anteil haben und der pedantische laborant nicht mit auf der klassischen Walpurgisnacht erscheinen. Mephisto muste das Zwerglein in die phiole gezaubert haben, um Wagner zu necken. Die zweite noch bedeutendere ände- rung besteht darin, dass Honiunculus noch nicht das glas verlassen hat und zur körperlichkeit gelangt ist, sondern mit seinem unablässigen tätigkeitsdrange nach dieser erst strebt, wodurch er zum sinbild des strebens des Faust nach Helena wurde. Wie Fau^t sein zie] erreicht, da es ihm gelingt, durch sein flehen bei Proserpina die wirkliche He- lena aus der unterweit heraufzuführen, so fühlt Honiunculus sich zur höchsten Schönheit hingetrieben, in deren erfassung er sich auflöst, er zerschelt am wagen der göttin der Schönheit. Mephisto komt in der zaubernacht dadurch zur ruhe, dass er die gestalt des urhässlichen Bagengebildes annimt, in welchem er schon in der „Helena" auftrat 8 i schliesst sich die klassische Walpurgisnacht zu einer dramatischen einheit zusammen, während früher Honiunculus keine innere beziehung zu Faust hatte und spurlos verschwand, im lezten plane nach der schnurre, dass er eine menge phosphorescierender atome aus dem humus in die phiole gesammelt hat, durch dessen herumschütteln Wagner einen wilden stürm erregt.
Nach dem entwürfe solte Mephisto zueist zur ruhe gelangen. Als „antike ungeheuer und misgestalten", bei denen er sich zu haus finde, waren in einem zusatze zum ersten schema genant „centauren, sphinxe, chimären, greife. Sirenen, tritonen und nereiden, die gorgo- nen, die graien" — eine gar bunte schaar, durch die Mephisto durchgehen solte. Als hauptsache erscheint im schema: „Mephistopheles und Enyo [eine der drei töchter des Phorkos oder Phorkys und der Keto, die Goethe schon aus des Aeschylos „Prometheus" kante] ; schaudert vor ihrer hässlichkeit; im begriff, sich mit ihr zu überwerfen, lenkt er
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ein. Wegen ihrer hohen ahnen und wichtigen einflusses macht er ein bündnis mit ihr. Die offenbaren bedingungen wollen nichts heissen, die geheimen artikel sind die wirksamsten." Das lezte solte wo] ein spott auf die gewöhnlichen staatsbündnisse sein; sachlich wurde dem tfephistopheies gestattet, wenn er wolle, die gestalt der Enyo (= Phor- kyas) anzunehmen.
Von Faust hören wir, dass er auf einer Wanderung zur versani- lung der Sibyllen gelange, die den christlichen ähnlich gedacht waren. Als bedeutendste von ihnen erscheint th>± Tiresias tochter Manto, die gentlich eine zu Delphi gehörende Wahrsagerin ist. aber von Goethe frei ausgeführt wurde. Diese teilt ihm mit. der augenblick sei für sei- nen wuns.-h günstig, da eben der hades sich öfhe. So steigt er denn (wo! von Manto geleitet) zur Unterwelt. Zur begründung der bitte werden die heispiele von Protesilaus. Alceste und Eurydice angeführt, ja Helena selbst habe die erlaubnis erhalten, sich mit dem schatten des Achill auf der insel Leuce zu verbinden. An die stelle von Leuce ist später bei benutzung dieser sage (7435), vielleicht aus einfacher Verwechslung, Pherä getreten. Proserpina gestattet, dass Helena auf den boden von Sparta zurückkehre und dort im hause des Menelaus empfangen werde; dem neuen freier soll überlassen sein, inwiefern er auf ihren geist und ihre empfänglichen sinne einwirken könne. Die Zeitdauer wird nicht bestirnt.
Die übersieht vom december 1826 hat die klassische Walpurgis- nacht weiter im einzelnen ausgeführt, ohne aber zunächst des verlan- ns des Faust nach Helena besonders zu gedenken und eine bestirnte innere folge der auftretenden sagengestalten anzudeuten. Faust lässt sich mit einer nach ihrer art auf den hinterfüssen ruhenden rätsellie- benden sphinx in ein gespräch ein. wobei „die abstrusesten fragen durch gleich rätselhafte antworten ins unendliche gespielt werden" sol- ten. Hin neben der sphinx in gleicher Stellung aufpassender goldhüten- der greif mischt sich ein, und eine herankommende kolossale gold- ameise (man hatte diese längst mit den greifen in Verbindung gebracht) macht die Unterhaltung (gleich den versuchten deutungen) noch verwirter. „Nun aber, da der verstand im Zwiespalt verzweifelt", heisst es weiter, „sollen auch die sinne sich nicht mehr trauen." Hier tritt denn die Empuse auf. ethe kannte diese aus den „fröschen" des Aristcpha-
nes als ein den wanderer durch die gestalten, welche sie annimt. s hreckendes _ spenst der Hekate. dessen einer fuss aus kot bestand, nach anderen der eines sels war. Hier solte sie zu ehren des heu- tigen f( s1 ä ein eselsköpfchen aufsetzen und „die übrigen verschiedenen
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gebilde" nicht zur Verwandlung-, „aber doch zu unsteter Ungeduld auf- regen." Nicht allein entwickeln sich sphinxe, greife und ameisen aus sich selbst zu unzählbaren schaaren, sondern es entsteht ein wilder geisterspufc sämtlicher ungetüme des altertums in gröster anzahl. Be- reits in einem zusatze zum ersten Schema war ein bunter schwärm derselben erwähnt. Jezt selten chimären (nach der schon aus Homer bekanten, von Bellerophon getöteten Chimära), tragelaphen (die mor- uländischen bockshirsche stelte Plato mit den kentauren zusammen), gryllen (lächerliche gestalten, die der maier Antiphilos aufgebracht hatte), dazwischen unzählige vielköpfige schlangen umherschwärmen, harpyien fledermausartig flattern und schwanken, der von Apoll erlegte drache Python vervielfältigt sich zeigen und die stymphalischen raub- vögel, die Hercules getötet, mit ihren scharfen schnäbeln und schwim- füssen pfeilschnell hintereinander vorbeischnurren. Ahoi- auch in den wölken und im flusse wird es lebendig. Ein „singender und klingen- der" zug von Sirenen schwebt hoch über alle; sie stürzen in den IV- neus, setzen sich, nachdem sie „rauschend und pfeifend" sich gebadet, auf die bäume und laden in den lieblichsten liedern zum feste d meeres ein. Die nereiden und tritonen entschuldigen sich, dass sie durch ihre „ konformation " gehindert sind, daran teilzunehmen, eine entschuldigung, die freilich wenig heissen will, da, wenn die meerwun- der hier am Peneus sich einfinden können, ihre verbildune sie auch nicht hindern darf, sich an das ihnen angehörende meer zu begeben. Die sirenen laden widerholt alle auf das dringendste ein, „sich in den mannigfaltigen meeren und golfen, auch inseln und küsten der nach- barschaft insgesamt zu ergetzen." Ein teil der menge stürzt nun meer- wärts. Dieses ganze kaum darstelbare geistergewühl bleibt ohne folg wie es in sich ohne bedeiitung ist. Eines schöpferischen geistes bedurfte es, um aus solchen keck hingeworfenen einfallen ein einheitlich! bedeutsames bild zu gestalten.
Doch es wird noch toller. Es bebt die erde und bläht sich auf; ,,ein gebirgsreihen bildet sich aufwärts bis Scotusa, abwärts bis an den Peneus, bedrohlich, sogar den fluss zu hemmen." Das pelasgische Skotusa nennt Strabo als sitz eines uralten heiligtums, das von dort nach Dodona verlegt worden sei; die meisten frauen von Skotusa seien mit ausgewandert und ihre nachkommen Wahrsagerinnen geworden Dies war für Goethe die veranlassung, hier Skotusa einzuführen: wahr- scheinlich wolte er ursprünglich das heiligtum der Manto dorthin setzen. Der unter dem Ätna liegende Enceladus solte. ..unter meer und land heranschleichend, mit haupt und schultern sich hervorwühlen, die wich-
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tige stunde zu verheriichen." Hierbei schwebte dem dichter die sage r, dass der fluss Alpheus sieh unter dem meere durchgearbeitet habe, _ trieben von liebe zur Arethusa, welche vor ihm nach Sicilien geflo- hen war. ..Aus mehreren klüften lecken flüchtige flammen. u So war - ii-'ii hier der später so glücklich benuzte spott über die vulkanisten vorbereitet „Naturphilosophen, die bei dieser gelegenlieit auch nicht ausbleiben konten („Denn wo gespenster platz genommen, ist auch der philosoph wilkommen" 7843 fg.), Thaies und Anaxagoras geraten über das phänomen heftig in streit, jener dem wasser und dem feuchten alles zuschreibend [also, wie Goethe selbst, kein beschränkter nep- tunist], dieser überall geschmolzene, schmelzende massen erblickend, peroriren ihre solos zu dem übrigen ehorgesause. Beide führen den Homer an und jeder ruft Vergangenheit und .gegenwart zu zeugen. Thaies beruft sich vergebens auf spring- und sündfluten mit didaktisch wogendem selbstbehagen. Anaxagoras, wild wie das elenient, das ihn beherscht, führt eine leidenschaftlichere spräche. Er weissagt [nach der Überlieferung] einen steinregen, der denn auch alsobald aus dem monde heruntorfält. Die menge preist ihn als einen halbgott und sein _ gner muss sich nach dem meeresufer zurückziehen." Aber Anaxago- ras bleibt sieger. Auch der schon von Homer erwähnte kämpf zwi- schen den pygmäen und kranichen war angedeutet, aber bloss als k<>mis<-hes spiel, ohne alle weitere beziehung. „Noch aber haben sich irgs-s hluchten und gipfel nicht befestigt und bestätigt, so bemäch- tig sich -'hon aus weit umher klaffenden Schlünden hervorwimmelnde pygmäen der oberarme und schultern des noch gebeugt aufgestemtni riesen und bedienen sich deren als tanz- und tummelplatz [dabei wird nn auf den Nil in der vatikanischen samlung erläuternd verwiesen,
bildwerk des liegenden flussgottes, an welchem die niedenen grade der Überschwemmung als aufsteigende kinder dar- _ ' .t sind], inzwischen unzählbare beere von kranichen gipfelhaupt und haare, als wären es undurchdringliche wälder [hier bezieht sich G Läuternd auf die ähnliehe phantasterei in Swrifts „Reisen Gul-
liver-"] kreischend umziehen und. vor s<hluss des algemeinen festes, ein ergetzliches kampfspiel ankündigen."
Die Schilderung des tollen geisterspukes wird hiermit abgebrodn-n. das darauffolgende bündnis des liephistopheles nicht weiter ausgeführt: dagei erhalten wir zum erstenmal näheren bericht, wie Faust zur Siant - srt Hatte Goethe die im Schema vor den sphinxen genan- ten kentauren fallen lassen, so spricht Faust jezt den von Homer als n derselben gerühmten Chiron an, der heute seine gewöhn-
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liehe runde macht. Da> ist eine hübsche Gründung des dichters, der, als er sich zur einführung Chirons entschloss, bereits dessen sinbildliche bedeutung als eines stets tätigen fördi rers der menschheil im sinne hatte, wozu der erzieher so vieler beiden, der sich freiwillig für Pro- metheus opferte, vorzüglich geeignet war. Fauste ernstes pädagogisches gespräch mit diesem „urhofmeister" wird durch einen kreis von Lamien beunruhigt, die sich unablässig durch beide bewegen. „Reizendes